double #10

Das Festival im Kopf

Heft 1/2007

Ausbildung: Berlin / international
Inszenierungen: Leipzig, Tübingen, Hiddensee


Editorial

»Hätte ich nur 10.000 Taler, so würde ich folgendes veranstalten: In Zürich würde ich auf einer schönen wiese bei der stadt von Bret und / balken ein rohes Theater nach meinem plane herstellen und lediglich blos mit der ausstattung an decorationen und maschinerie versehen lassen, die zu einer Aufführung des Siegfried nötig ist. Dann würde ich mir die geeignetsten Sänger, die irgend vorhanden wären, auswählen und auf 6 wochen nach Zürich einladen (…). Von Neujahr gingen die Ausschreibungen und Einladungen an alle freunde des musikalischen Drama’s durch alle Zeitungen Deutschland’s mit der Aufforderung zum Besuche des beabsichtigten dramatischen Musikfestes: Wer sich anmeldet, bekommt gesichertes entrée, – natürlich wie alle entrée: gratis! Des weiteren lade ich die hiesige jugend, Universität, Gesangsvereine u.s.w. zur Anhörung ein. Ist alles in gehöriger Ordnung, so lasse ich dann unter diesen umständen drei Aufführungen des Siegfried in einer woche stattfinden: nach der dritten wird das theater eingerissen und meine partitur verbrannt. Den leuten, denen die sache gefallen hat, sage ich: »nun macht’s auch so!« Wollen sie auch von mir einmal wieder etwas Neues hören, so sage ich aber: »schießt ihr das Geld zusammen!« Richard Wagner, 1850 Festivals stellen in der Welt des Theaters den Sonderfall dar, wie er etwa durch die Anwesenheit einer Biene in der Unterhose repräsentiert wird: Das Tier ist an diesem Ort äußerst fragwürdig, beschleunigt aber Gang und Herzschlag. Die Biene, der Käfer, die Spinne, ein ganzes, gut geerdetes Bestiarium als Geburtshelfer für den Gedanken »Festival im Kopf«? Das kennen wir doch schon aus anderen Zusammenhängen: Eros und Thanatos, Apollon und Dionysos im gemeinsamen Fest. Oder, um es mit Karl Valentin einfach-vertrackt auszudrücken: »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.«

Bevor dieses Editorial nun von Esprit durchweht erscheint, beeilen wir uns festzustellen, dass es im Thementeil dieses Heftes nicht um die Kunst an sich, sondern um das »making of festival« geht. Es gibt eine beachtliche Anzahl dieser Gattung allein in Europa, die im Ein- oder Zweijahresrhythmus kontinuierlich ihren Platz im Veranstaltungskalender einnehmen und die Spielräume des Figurentheaters international ausloten. In der Regel treten sie als ein in sich geschlossenes Produkt hervor, das sich via Plakat, Programmheft, Logo und Pressearbeit einem Publikum als Attraktion mit zeitlich klar begrenzter Dauer und räumlich desperaten Veranstaltungsorten stellt.

Nicht selten ist der Einlader und Gastgeber selbst zu Gast an Orten, die in ihrer Eigenart zum Teil dem noch so versierten Theaterbesucher einen ungewöhnlichen Eindruck von Kunstplätzen seiner Stadt oder Region vermitteln. Der (vermeintlichen) Leichtfüßigkeit des Hier und Dort und Irgendwo korrespondiert eine gewisse Beschleunigung der Aufnahmeanforderungen, die sich merkwürdiger Weise einer (scheinbaren) Verknappung von Zeitressourcen verdankt. »If not now, when ever?« Um diesen »immer jungen Frühling« dürfen Festivals von den Lastkähnen und Tankern festgefügter Kulturbollwerke zu Recht beneidet werden.

Im Thema stellen wir Festivals in ihrer Außenwirkung und Festivalmacher mit ihren Konzepten und Reflexionen zum eigenen Tun vor. Wolf-Dieter Ernst beschreibt einen kollektiven Prozess, aus dem als willkommenes Seitenstück auch ein Festival hervorgeht. Mascha Erbelding begibt sich für uns in den Hexenkessel von Madame la Marionnette in Charlesville-Mézières, dessen überschäumende Festplatzenergie den Wunsch nach einem Führer durch die Höhen und Tiefen eines Programmdschungels wach rufen. Meike Wagner spricht mit Bodo Birk über die Realität und Utopie des Festival-Machens in Erlangen. Und Yves Bodin erläutert künstlerische Zusammenhänge und Interaktionen zwischen der eigenen Theaterarbeit und dem Zustandekommen eines Festivals. Ahnt der Festivalbesucher, dass er sich mit dem Erwerb der einen oder anderen Eintrittskarte in höchste Gefahr begibt? Will er wirklich Augen- und Ohrenzeuge eines performativen Feuerwerkes werden, gar einer Brandschatzung der Kunst, wie sie Wagner in seinem Zürcher Exil 1850 als Vision eines autonomen Theaterereignisses entwirft? Trotz eingehaltener feuerpolizeilicher Schutzvorschriften sollte sich das Publikum nicht zu sicher fühlen. Der Festivalwahnsinn packt zu, der kollektive Taumel erfasst die Sinne.

Gerd Taube, Meike Wagner, Manfred Wegner

Inhalt

Das Festival im Kopf

  • Festival der Nomaden
    Transeuropa 2006 widersetzt sich dem Staatsapparat
    von Wolf-Dieter Ernst
  • (Ein-)Blick ins Schaufenster
    Mascha Erbelding im Gespräch mit Lucile Bodson
    von Mascha Erbelding und Lucile Bodson
  • Zwischen Publikumsanspruch und Welt-Verbessern
    Meike Wagner im Gespräch mit Bodo Birk über Realität und Utopie des Festival-Machens in Erlangen
    von Meike Wagner und Bodo Birk
  • Ein Fest für das Imaginäre
    Gedanken von Yves Baudin und Corinne Grandjean über Idee und Konzept der Semaines internationales de la Marionnette en Pays Neuchâtelois
    von Yves Baudin und Corinne Grandjean

Festival

  • Die Puppe als Zeitgenosse
    Streifzüge durch das 14. Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes in Charleville-Mézières
    von Katja Spiess
  • Stadt-Theater in Baden
    Eindrücke vom Figura Theaterfestival 2006
    von Anke Meyer
  • Geschichte und Gegenwart
    Sich erinnern und sich erinnern lassen
    Von der Darstellbarkeit des Holocaust
    von Chris Wahl

Ausbildung

  • Versuchung der Vielfalt
    Bemerkungen zum internationalen Forum jungen Figurentheaters in Berlin
    von Suvi Auvinen

Inszenierungen

  • Modern Times
    »Spleen. Charles Baudelaire: Gedichte in Prosa« vom Figurentheater Wilde & Vogel
    von Tobias Prüwer
  • Das Enthüllen des Verborgenen?
    »salto lamento« vom figuren theater tübingen
    von Helmut Landwehr
  • Von den Mysterien einer Schiffskombüse
    »Chimära« von der Seebühne Hiddensee
    von Holger Teschke

Notizen

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double #09

Theaterkunst als Prozess

Heft 3/2006

Festivals: Bielsko-Biala, Bialystok, Paris, Erfurt
Buchbesprechung: Marionettenspiele im Rabenhaus


Editorial

Eine über Jahrhunderte unveränderte Inszenierung, von unveränderlichen Spielern für ein unveränderliches Publikum präsentiert, wäre das noch Theater? Eine überflüssige Frage, denn mindestens zwei der Grundannahmen sind selbstverständlich unrealistisch. Produzenten und Rezipienten des Theaters sind stets ihrer Zeit verhaftet, die Aufführung ist immer Kondensationspunkt menschlicher Gegenwart in all ihrer chaotischen Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit. Theater ist der Versuch, in dem unentwirrbaren Geflecht an Erfahrungen, Impulsen und Beziehungen Momente der Gemeinsamkeit zu erschaffen. Dass dies gelingt, und es gelingt wunderbarer Weise immer wieder, ist vor allem einem Aspekt geschuldet: Theater lebt aus der Bewegung, es blüht im Versuch der Annäherung auf beiden Seiten der Bühnenkante und stirbt mit der Trägheit einer der Protagonisten. Theater ist das Phantom, das spürbar zwischen Bühne und Zuschauersitz Gestalt gewinnt und sich jeder Beweisbarkeit verweigert.

Das Bemühen um Annäherung an den Partner, den Zuschauer, die Vision auf der einen, an die Darsteller und die Erzählung auf der anderen Seite erzeugt die Prozesshaftigkeit des Theaters, die mit Blick auf die Spezifika des Figurentheaters in der aktuellen Ausgabe von »double« beleuchtet werden soll. Ohne Aussicht, der gewählten Aufgabe in ihrer Gesamtheit gerecht werden zu können, setzt die Redaktion auf die Vielfalt von Stimmen und Perspektiven. Der polnische Theaterhistoriker Hendryk Jurkowski gibt Einblicke in die Genese des Genres im Verlauf des an sozialen, politischen und künstlerischen Eruptionen so reichen 20. Jahrhunderts. Theorieorientiert ist auch der Beitrag des Theaterwissenschaftlers Hajo Kurzenberger in seiner Untersuchung kreativer Prozesse in der Theaterarbeit. Dem gegenüber stehen praxisbezogene Innenansichten aus der Theaterarbeit. Frank Soehnle, einer der renommiertesten Figurenspieler Deutschlands, vermittelt einen Begriff der untergründigen Feinstrukturen des Animationsprozesses. Ein Werkgespräch von Theatermacherinnen und Theatermachern unter der Leitung von René Reinhardt, dem künstlerischen Leiter der Leipziger Schaubühne Lindenfels, beschäftigt sich mit der Prozesshaftigkeit in der Aufführungspraxis selbst.Zwischen analytischer Präzision und erfrischender Utopie spannt sich schließlich der Beitrag zur Jahrestagung der Ständigen Konferenz Spiel und Theater an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland der beiden Wissenschaftler und Theaterpädagogen Gerd Koch und Ute Pinkert. Das hier zitierte »Manifest transeuropa 2006, no. 10 a« schließt den Bogen: »Ensembles, Zuschauer, Kollektive! Zusammen sein ist immer romantisch!…Wir sind da! Wir sind nicht hier, nicht dort! Und wieder weg! Wir sind nicht für immer!« Das Phantom lässt grüßen. Und es bewegt sich.

Christian Bollow, Katja Spiess, Gerd Taube

Inhalt

Theaterkunst als Prozess

  • Freiräume kollektiver Kreativität:
    Die Infragestellung theatraler »Grundannahmen«
    von Hajo Kurzenberger
  • Das Höchste der Gefühle
    Ein Gespräch über Gegenwärtigkeit und Prozesshaftigkeit in der Aufführungspraxis
    von Yvette Coetzee, René Reinhardt, Hendrik Mannes, Peter Rinderknecht, Michael Vogel, Charlotte Wilde
  • Animationsprozesse
    Christian Bollow im Gespräch mit Frank Soehnle
    von Christian Bollow
  • A Never ending Story
    ProzessProduktProzessProdukt… Eine Montage
    von Gerd Koch
  • Renaissance, Niedergang und Triumph der Puppe
    Zu historischen Entwicklungsprozessen der Theaters mit Puppen im 20. Jahrhundert
    von Henryk Jurkowski

Festival

  • Wegbegleiter in Polen
    40 Jahre Festival in Bielsko-Biala
    von Annette Dabs
  • Zwischen radikal und brav
    Über das Internationale Festival der Puppentheaterhochschulen in Bialystok
    von Silvia Brendenal
  • Gross im Kleinen
    Über die sechsten »Scènes ouvertes à l’insolite« in Paris
    von Katja Spiess
  • Märchen, Mythen, Malereien
    Synergura 2006 in Erfurt
    von Annette Dabs

Inszenierungen

  • Das Wort als Geste und Bild
    Josef Nafj eröffnet das Festival 2006 in Avignon mit«ASOBU. Hommage à Henri Michaux«
    von Anke Meyer
  • Versprechen an die Zünfte
    »Labyrinth« – Diplominszenierung von Wibke Alphei, Nicola Reinmöller, Birte Hebold, Yifat Maor und Christian Pfütze, Berlin
    von Christian Bollow
  • Sommer, Studio, Abend
    »Ursel« und »Modesty Blaise – Die tödliche Lady«, zwei Arbeiten des Puppenspielstudios Halle
    von Silvia Brendenal

Bücher

  • Ein Stück der Züricher Kulturgeschichte
    von Hana Ribi
    Notizen
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double #08

Das Nomadische im Theater

Heft 2/2006

Bühne: Kleine Bühne Naumburg
Symposium: Krakau und München


Editorial

Das Nachdenken über eine bestimmte Form der Bewegung bildete den Ausgangspunkt der Themenstellung für dieses Heft: Was bedeutet die nomadische Bewegung in einer Welt, die das Unterwegssein »des flexiblen Menschen« zum Prinzip des Überlebens stilisiert hat? Ist der Nomade dessen Pate oder vielmehr sein Gegenbild? Zunächst eignen dieser Form der Bewegung besondere Qualitäten: Sie ist kontinuierlich und sie kommt an kein Ende, sie hat kein Ziel. Sie durchquert den Raum und besetzt ihn nicht. Insofern unterscheidet sie sich von jenem Unterwegssein im Namen eines globalen Kapitalstroms, der die Bewegung der Kolonialisation beerbt hat und in dem das Reisen nur das Hinter-sich-Lassen von Distanzen bedeutet. Die Bewegung des Nomaden wäre demgegenüber vielmehr als das Passieren von Orten zu begreifen, sie erfüllt sich nicht im Ankommen an einem Ort. »Passieren« lässt sich dabei in doppeltem Sinn verstehen:

Der Ort, den der Nomade erreicht, ereignet sich erst im Augenblick der Passage. Er ist ein unspektakulärer Ort, vielleicht ein Gegen-Ort im Sinne des von Michel Foucault vorgeschlagenen Begriffs der »Heterotopien«: »Orte, die sich allen anderen widersetzen und sie in gewisser Weise sogar auslöschen, ersetzen, neutralisieren oder reinigen sollen.« Es sind »mythische und reale Negationen des Raumes«, vielfältige und wechselnde Orte. Man könnte sie als konkrete Denkräume begreifen, die mit den Ritualen einer Gesellschaft zu tun haben: Sie aufzusuchen, bedarf es einer besonderen Form der (Denk-)Bewegung, wie sie etwa in der Praxis des schamanischen Reisens kultiviert wird. Die Autoren des Thementeils, alles selbst Künstler, sind der Frage nachgegangen, was die Form der nomadischen Bewegung mit dem Puppen-, Figuren- und Objekttheater zu tun haben könnte: Was hat es auf sich mit dem Prinzip des raschen Auf- und Abbaus? Wie sind die Spielräume zu begreifen? Lässt sich die metaphorische Verschiebung des Objektes als nomadische Bewegung beschreiben? Die Beiträge verstehen sich dabei in keiner Weise als auch nur annähernd erschöpfende Erfassung des Themas, sondern eher als fragmentarische Sammlung. Das Ziel ist nicht die »Setzung« einer Ästhetik sondern das Auskundschaften eines Raumes, den sämtliche Autoren aus der Praxis des eigenen Spiels kennen. So erkunden Christoph Bochdansky und Florian Feisel die Prinzipien ihre Arbeit unter dem Aspekt des karthographischen Blicks während Julika Mayer den Gedanken des heimatlichen Orte verfolgt und mit der Philosophie Vilém Flussers verbindet Gianluca Di Matteo und Tatiana Mazzali wiederum geben einen biographisch gefärbten Eindruck vom Straßenleben des neapolitanischen Pulcinella in Turin. Und schließlich entwirft Christian Carrignon eine Skizze zu einer Ästhetik des Objekttheaters als Theater der mentalen Nomaden. Damit ist das Thema keineswegs abgeschlossen: Es wandert fort und Peter Ketturkat wird es in der nächsten Ausgabe von double noch einmal aufgreifen.

Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer

Inhalt

Das Nomadische im Theater

  • Re: Gibt es eine dramaturgische Form des Grasens?
    Eine E-Mail-Korrespondenz
    Christoph Bochdansky und Florian Feisel
  • heimat und losigkeit.
    nomadengedanken im baustellencharakter
    Julika Mayer
  • Die Straße der Puppenspieler
    Ein Pulcinella-Report
    Gianluca Di Matteo und Tatiana Mazali
  • Mentale Wanderungen
    Nachdenken über das Nomadische im Objekttheater
    von Christian Carrignon
    Christian Carrignon

Diskussion

  • Vom Wert des Fremden
    Interkulturelles Künstlerfrühstück im Rahmen der Internationalen Festwoche des FITZ!
    Christian Bollow

Inszenierungen

  • Glänzende Welt?
    »SpiegelSpiel« von Wiebke Holm
    Lea Streisand
  • Verhüllung und Entäußerung
    »letters from tentland« im Tanzhaus NRW; »I Apologize« beim Festival »off limits«
    Anke Meyer
  • Davon kann man sich (k)ein Bild machen!
    »The Camp« der Company HOTEL MODERN
    Stefan Bläske
  • Die Geburt der Vernunft aus dem Rotz der Götter
    »ODIN« von Figurentheater Paradox Stuttgart und TheaterFusion Berlin
    Jutta Schubert
  • Lebensentwurf oder Mythos
    „Meine Schwester Marilyn – Auf der Suche nach Norma Jeane“, eine Koproduktion des wonderfool theaters mit FITZ! Zentrum für Figurentheater Stuttgart und Puppentheater der Stadt Magdebur
    Silke Haueiß
  • Großes Affentheater
    »King Kong – Ein amerikanischer Traum« der Seebühne Hiddensee
    Holger Teschke

Festival

  • Erste Begegnungen
    Europäische Biennale in Val d’Oise zur Theaterkunst für die frühe Kindzeit
    Gert Engel
  • Des Meeres Kraft
    Figurentheaterinszenierungen auf dem Kindertheaterfestival »Panoptikum« in Nürnberg
    Manfred Jahnke

Bühne

  • »…ein Teil des Teils, der anfangs alles war…«
    Theateralltag an der Kleinen Bühne Naumburg
    Silvia Brendenal

Symposium

  • Ist Kantor da?
    Bericht über ein Krakauer Symposium und eine Münchner Veranstaltung anlässlich des 15. Todestages und 90. Geburtstages von Tadeusz Kantor
    Mascha Erbelding

Buchbesprechung

  • „Autobiographische und biographische Zeugnisse sächsischer Marionettenspiele“
    Gerd Taube

Notizen

Impressum

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double #07

Figur zwischen Drama und Performance

Heft 1/2006

Festivals: Amsterdam, Graz, Neuchâtel
Projekt: Deutsch-französisch-kongolesisches Theaterprojekt


Editorial

„…alte, zum Großteil uralte, längst aus der Mode gekommene, wertlose, ja unverschämt vollkommen abgenützte Marionetten…, nicht einmal mehr als Requisiten verwendbar“, so erinnert sich Thomas Bernhard in einem seiner biographischen Romane an die Mitpatienten im Salzburger Krankenhaus, in das er 1949 mit einem schweren Lungeninfekt eingeliefert und, als unheilbar von den Ärzten aufgegeben, in das Sterbezimmer überwiesen worden war. Er beschreibt sich als Zuschauer eines ‚Welttheaters‘, dessen Darsteller zum letzten Akt bereit gemacht werden. Aus dem Zwang, den das Geschehen auf den Jugendlichen ausübt, und dem Bemühen, hierfür eine schlüssige Erklärung zu finden, entsteht eine Distanz, da er die Akteure des Spiels und deren Lenker nicht als sinnbildliche Verkörperung seiner eigenen Situation ansieht. Das rettet ihm das Leben, führt ihn aus dem Sterbezimmer – und damit aus dem Theater, das keines mehr ist – hinaus.

Ohne Figur kein Drama – das gilt auch für modernes Figurentheater. Die Art und Weise der dramatischen Figurenkonzeption wird als Maßstab angelegt, um literarische Entwürfe zu unterscheiden, ob es sich um symbolistisches, naturalistisches oder schlichtweg modernes Theater handelt. Für das Puppentheater zu Beginn des 20. Jahrhunderts gilt die historische Avantgarde und ihr Bezug auf die Kunstfigur als Referenz für eine Reform des Genres. Wenn die bedeutenden Theatertheoretiker wie Edward Gordon Craig oder Vsevolod E.Meyerhold die Puppe als Metapher einer neuen Schauspielkunst zentral setzen, dann bietet es sich an, ihre Figurenentwürfe auch als Bezugsgröße zu bemühen für den Eintritt des Puppentheaters in die moderne Theaterästhetik. Das vorliegende Heft versteht sich als Korrektur dieser Wahrnehmung: Jochen Kiefer legt dar, dass die Puppen-Metapher der historischen Avantgarde völlig abgetrennt von der zeitgenössischen Praxis des Puppentheaters konzipiert wurden. Manfred Wegner verweist auf konkrete historische Zusammenhänge zwischen Theaterreform und Kultur der wilhelminischen Epoche, aus denen heraus auch Ansätze zu einer eigenständigen Puppentheater-Praxis geformt werden konnten. Meike Wagner stellt den Wert einer unkritischen Bezugnahme auf die „Über-Marionetten“ der historischen Avantgarde in Frage, indem sie zeitgenössische Theater-Konzepte beleuchtet, die ganz auf den dramatischen Figurenbezug verzichten. Figuren entstehen hier nur noch als performative Konfigurationen, Material und Objekte entfalten sich auf anderen Bedeutungsebenen. Die argentinische Theatergruppe El Periférico de Objetos steht hierzu Rede und Antwort und gibt Einblicke in das, was im Kern ihrer Theaterarbeit steht – nicht die dramatische Figur und ihre theatralen Handlungen, sondern die Erforschung des Spannungsverhältnisses zwischen Subjekt und Objekt. Der Thementeil beansprucht eine weite zeitliche Spanne, setzt darin aber inhaltlich nur Akzente. Damit wird keine Wertung anderer Phänomene des Figurentheaters als nicht beachtenswert vorgenommen. Entweder sie führen eine produktive Existenz oder haben sich historisch erledigt, das ist und bleibt immer wieder zu diskutieren. Die Aufmerksamkeit dieses Heftes aber zielt auf zeitnahe künstlerische Auseinandersetzungen, deren Wahrnehmung zu eben dieser Diskussion wesentlich beitragen kann.

Katja Spiess / Meike Wagner / Manfred Wegner

Inhalt

Die Puppe als programmatisches Spiel der Differenz

  • „Ein Nonplusultra von Nettigkeit“
    Das Puppenspiel auf dem Weg zu sich selbst
    von Manfred Wegner
  • Die innere Mitte
    Was das neue Theater zusammenhält
    von Meike Wagner
  • „Ihr seid alle Objekte“
    Ein Gespräch mit El Periférico de Objetos

Festivals

  • Doppelter Blick
    Über das 6. Internationale Figurentheaterfestival „Blickwechsel“ in Magdeburg
    von Silvia Brendenal
  • Lügnern, Komödianten, Pataphysikern
    Über die 11. Semaine de la Marionnette in Neuchâtel
    von Hartmut Topf
  • Opulenter Bilderbogen
    Eindrücke vom Internationalen Festival für Straßen- und Figurentheater „La Strada“ in Graz
    von Lothar Drack
  • Verrückte Poeten 2
    Puppen- und Objekttheater-Festival „Niederlande Spezial“ in der SCHAUBUDE; Berlin
    von Barbara Fuchs
  • Ein Festival der Projekte
    „RISK Visual Theatre Days“ im Ostade Theater in Amsterdam
    von Marek Waszkiel
  • Schrott und Glimmer
    Figurentheater-Inszenierungen beim 12. UNIDRAM-Festival in Potsdam
    von Laurence Barbassetti

Inszenierungen

  • Von Kriegsalpträumen und postmodernen Märchen
    Deutsch-französisch-kongolesisches Theaterprojekt in Bochum
    von Johanna Renger
  • Ächzen und Stöhnen
    Spielzeitauftakt in Dresden mit „Arbeiten 1: Zimmermanns Sauger“
    von Anke Meyer
  • Mythos und Wirklichkeit
    „Salomé“ von der Kompania Doomsday im Westflügel Leipzig
    von Silke Haueiß
  • „Träumen Vögel von mir?“
    „Liquid Skin“, eine Koproduktion von IGNEOUS, Brisbane und figuren theater tübingen
    von Ulrike Kirsten Hanne
  • Aus dem Geigenkasten
    „Paganini. Die Magie der Töne“ vom Figurentheater Raphael Mürle
    von Katja Spiess

Buchbesprechung

Notizen

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double #06

Anderes Theater in Berlin

Heft 3/2005

Festivals: Erlangen, Stuttgart, Berlin …
Ausstellung: Bad Kreuznach


Editorial

Berlin – Zentrum des anderen Theaters: „An mehreren Tagen der Woche sieht man in Berlin vor diesem oder jenem Hause einen viereckigen Kasten, auf welchem transparent das anspruchslose Wort: ,Figuren=Theater‘ zu lesen ist. Ich habe mich immer gewundert, warum Dichter und Kritiker diese Institution so wenig beachtet haben; sie greifen augenscheinlich in das Volksleben, und würden tief in dasselbe greifen, ließen sich die vornehmen Musensöhne herab, für sie zu dichten und ihre Leistungen zu besprechen. … Dazu kommt, daß die Figuren=Theater in vieler Hinsicht den Menschentheatern vorzuziehen sind, auf welchen letzteren fast ohne Ausnahme Kabale und Liebe, Arroganz und Schachergeist die besten Früchte im Keim ersticken, die schönsten Talente untergraben und die mittelmäßigen ihrer Waden wegen in die Höhe bringen. In den Figurentheatern dagegen haben die Directoren immer Energie, Klugheit und Bindfaden (auf berlinisch: Strippe) genug, ihre Mitglieder in Ruhe und Ordnung zu erhalten …“ (Adolf Claßbrenner, Puppenspiele, 1836)

Es hat sich viel geändert in Berlin und im Puppen- und Figu­rentheater, seitdem Adolf Glaßbrenner unter seinem Pseudonym Ad. Brennglas das 9. Heft seiner Reihe „Berlin wie es ist und trinkt“ mit dem Titel „Puppenspiele“ herausbrachte, worin er mit genauem Blick das Puppentheater und seine Zuschauer als ein Phänomen der Volkskultur beschrieben hat. Wenig geändert hat sich jedoch bis heute an der gesellschaftlichen Reputation, die das Puppen- und Figurentheater genießt – es war und ist das andere Theater, jenseits der Hochkultur und der Hochkulturförderung.

Berlin als Stadt des Puppentheaters hat literarische und publizis­tische Spuren hinterlassen, seit die Romantiker zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Puppenspiel entdeckt haben. Oft sind daher in der Folge Uhland, Kerner, Tieck, Eichendorff und andere als Kron­zeugen zur Legitimierung des Puppentheaters als Kunst aufgeru­fen worden. Und obwohl sich an der gesellschaftlichen Wert­schätzung des Puppen- und Figurentheaters bis heute nur wenig geändert hat und die Klischees vom Puppenspiel als Kasperthea­ter und Kinderbelustigung noch immer die öffentliche Meinung über diese Kunst prägen, haben sich das Puppen- und Figu­rentheater und das Objekttheater zu einer der modernsten und avanciertesten Künste entwickelt. Dass diese Kunstform längst nicht mehr als populäre Kunst zu bezeichnen ist, wie das im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch der Fall war, mag man bedauern, dass es dagegen eng mit den Entwicklun­gen der modernen Performancekunst mit ihrem interdiszi­plinären Denken verknüpft ist, kann als ein Qualitätsbeleg die­nen, der wichtiger ist als ungebrochene und breite Popularität.

Berlin ist eine Stadt, von der vielfältige künstlerische Impulse ausgegangen sind und auch weiterhin ausgehen. Seit den sieb­ziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Stadt auch zu einem Zentrum des Puppen- und Figurentheaters ent­wickelt. Mit einer überaus reichen und vielgestaltigen freien Szene in Westberlin, mit den Versuchen der Werkstatt Spiel und Bühne an der damaligen Hochschule der Künste, mit der Hoch­schulausbildung von Puppenspielern an der Abteilung Puppen­spielkunst der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ oder mit der Gründung des ersten freien Theaters der DDR, der Gruppe Zinnober – Berlin war Zentrum der Kunst des Puppen- und Figurentheaters in Deutschland. Was sich in dieser Stadt an Entwicklung dieser Kunst vollzogen hat und vollzieht, konnte und kann sich an keinem anderen Ort Deutschlands ereignen.

In den vergangenen 15 Jahren seit der deutschen Vereinigung hat sich Berlin zunehmend auch international als Knotenpunkt für die Entwicklung dieser Kunst profiliert. Die Überschreitung von traditionellen Genregrenzen und die Etablierung des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters als experimentelle Kunstform haben Berliner Künstlerinnen und Künstler zu maßgeblichen Akteuren in einem europäischen und globalen Netzwerk dieser Kunst gemacht, dadurch sind aber auch viele ausländische Künst­lerangeregt worden, nach Berlin zu kommen und hierzu arbeiten.

Gleichzeitig ist es in Berlin äußerst schwer, die finanzielle Grund­lage für die freie Theaterarbeit zu sichern. Zu viele Theater scharen sich um den viel zu kleinen Topf von Fördermitteln. Diese Ambi­valenz der Bedingungen für die künstlerische Produktion des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters in Berlin zieht sich als Grundgedanke durch ziemlich alle Beiträge des Thementeils in diesem Heft. Dass sich dennoch so viele auf diese Bedingungen einlassen und Berlin als Lebens- und Arbeitsort gewählt haben, hängt wohl auch damit zusammen, dass der Berliner, wie schon Glaßbrennerwusste,zu überleben weiß und mit Witz immer das Beste aus einer Situation zu machen versteht. Offenkundig haben sich die Zugereisten von dieser Berliner Mentalität anstecken lassen. Berlin ist also ein Zentrum des anderen Thea­ters nicht wegen seiner Kulturpolitik, sondern trotz dieser Politik.

Gerd Taube, Silvia Brendenal

„Sommernachtstraum – reorganisiert“, Christoph Bochdansky (Wien) und Figurentheater Wilde&Vogel (Stuttgart).
Foto: Charlotte Wilde

Inhalt

Anderes Theater in Berlin

  • Zwischen Durchlauferhitzer und Erbhof
    Oder: Der Berliner Markt der „Freien“ ordnet sich neu
    von Astrid Griesbach
  • Überlebens-Kunst
    Berlin als künstlerische Home-Base
    von Uta Gebert
  • Mensch & Figur
    Ein Porträt des Fliegenden Theaters Berlin
    von Ulla von Fersen
  • Das Theater leben
    Von der Berliner Gruppe Zinnober zum Theater o.N.
    von Hartmut Mechtel
  • Ein schöpferischer Ort
    Die SCHAUBUDE Berlin im Spagat zwischen Spiel- und Produktionsstätte – Gespräch
    von Gerd Taube und Silvia Brendenal
  • Das Ensemble potenziert die Kreativität
    Ausbildung zum Puppenspieler in Berlin. Gerd Taube unterhält sich mit vier Studierenden in Berlin
    von Gerd Taube

Festivals

  • Die Humanität der Puppe
    Spectacles de fin d’études in Charlevilles-Mézières
    von Anke Meyer
  • In fremden Welten
    Über das 14. Internationale Figurentheater in Erlangen
    von Katja Spiess
  • Von Krankenzimmern, Reiskörnern und einer Giraffe
    ein Tag beim Festival „Theater der Welt“ in Stuttgart
    von Annette Dabs
  • Theater von Anfang an
    Über ein Kolloquium während des Festivals AUGENBLICK MAL!
    von Silvia Brendenal
  • Seekasper
    1. Internationales Puppentheaterfestival im Juni 2005 auf Hiddensee
    von Kai Zeisberg

Inszenierungen

  • Narzissmus kreuzt Schwesternliebe
    „Die wilden Schwäne“, Figurentheater Anne-Kathrin Klatt
    von Anke Meyer
  • Dinge als Komplizen der Sehnsucht
    „Prettig verdwaald“ von Ad van Iersel und Hedy Grünewald
    von Silke Haueiß
  • Glücksfeen-Duette
    „Glücksfeen“ der Dalang Puppen Company Zürich
    von Lothar Drack
  • Die Kraft der Reduktion
    „…des Glückes Unterpfand. Isolation von Ulrike Meinhof“ von Antje Töpfer
    von Christian Bollow

Ausstellung

  • Bad Kreuznach – Theater ganz nah
    Ei Reise-Tipp zu Geschichte und Gegenwart des Puppentheaters
    von Jürgen Kirschner

Nachruf

  • Prof. Dr. Kawrakowa-Lorenz (1941-2005)
    von Silvia Brendenal

Notizen

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double #05

Dramaturgie im Puppen- und Figurentheater

Heft 2/2005

Festivals: Barcelona, Lodz, Straßburg
Bühne:  Oldenburg


Editorial

„Es fehlt an dramaturgischer Struktur!“, rufen Rezensenten, Regisseure und Zuschauer den Figurentheater-Machern zu. Und haben damit häufig Recht. Fast ebenso häufig aber auch nicht. Denn die Diagnose einer schwachen Dramaturgie geht nicht selten von einem Dramaturgie-Begriff aus, der dem Wesen und den strukturellen Gegebenheiten des Figurentheaters nicht gerecht wird. So leiten sich viele dramaturgische Prinzipien aus dem Primat des Textes ab, was in einer bildorientierten und oftmals eher musikalisch-choreographisch aufgebauten Theaterform nur bedingt greift. Auch der Hinweis auf eine fehlende Fabel, auf eine unzureichend kausallogisch organisierte Erzählform, scheint der Intention mancher Figurentheater-Inszenierung diametral entgegenzulaufen. Also: „Ein Lob der offenen Struktur! Es folge, wer folgen kann!“ Was aber, wenn die Zuschauer zurück bleiben?

Wenn die einen im Labyrinth einer nach rätselhaften Gesetzen funktionierenden Theaterform herum irren und sich dabei ziemlich verloren vorkommen und andere sich mit optischen Genüssen begnügen oder womöglich schon beim ersten Anblick der unbekannten, verschlungenen Pfade den Rückzug antreten? Wie könnte wohl der Ariadne-Faden aussehen, der die Zuschauer durch dieses Labyrinth geleitet, ohne ihnen die Verantwortung für ihren eigenen Weg zu nehmen? Wenn sich denn eine Dramaturgie des Figuren- und Objekttheaters umreißen ließe, aus einem einzigen Faden würde sie wohl nicht bestehen. So versammelt das vorliegende Heft einige Überlegungen zu diesem Thema, die unterschiedliche Fragestellungen nach dramaturgischen Prämissen des Figurentheaters aufwerfen und dafür individuelle, streitbare Antworten versuchen und die, trotz manchmal gegensätzlicher Perspektiven,deutlich Berührungspunkte aufweisen. So entwickelt der Autor und Regisseur Yves Baudin Thesen zum Verhältnis von dramatischer Struktur und szenischer Komplexität, aus denen er modellhaft eine spezifische Dramaturgie des Figurentheaters abzuleiten sucht. Die Theatermacher Tristan Vogt und Joachim Torbahn wiederum versuchen, dramaturgische Prinzipien aus der praktischen Theaterarbeit heraus zu beschreiben. Dem Phänomen des Erzählers als vermittelnde Instanz ist der Artikel der Theaterwissenschaftlerin Meike Wagner gewidmet, der das Figurentheater als „epische Theaterform“ befragt. Mit der Schwierigkeit, eine zutreffende Begrifflichkeit für die Dramaturgie des Bildertheaters zu (er)finden, beschäftigt sich der Artikel des bildenden Künstlers Joachim Fleischer. Und schließlich schildert Bernd Dittrich den Alltag eines Dramaturgen am Puppentheater in Hinblick auf seine genrespezifischen Besonderheiten. Bewusst haben wir in diesem Heft vor allem Theater-Macher zu Wort kommen lassen, um die Entwicklung dramaturgischer Prinzipien stets auf die konkrete Inszenierungspraxis zu beziehen.Viele der formulierten Positionen beleuchten daher einen bestimmten Ausschnitt ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Vielleicht ist aber auch der Dramaturgie des Figurentheaters eher die von Marianne van Kerkhoven als „Puzzle“ benannte Struktur zueigen.Und vielleicht ist der Ariadne-Faden ja nicht nur für Dramaturgen und Theatermacher, sondern auch für Zuschauer durch „Vertrauen in die Wege der Intuition“ zu finden.

Katja Spiess und Anke Meyer

Inhalt

Dramaturgie im Puppen- und Figurentheater

Thema

  • Ariadne-Fäden.
    Editorial.
    Von Anke Meyer und Katja Spiess
  • Gratwanderungen.
    Theysen zu einer spezifischen Dramaturgie des Figurentheaters.
    Von Yves Baudin
  • Was ist Geheimnis, was ist Nebel?
    Katja Spiess im Gespräch mit den Nürnberger Figurentheater-Machern Tristan Vogt und Joachim Torbahn
  • Einsteins Gehirn auf der Straße.
    Epische Dramaturgie im Puppen-, Figuren- und Objekttheater.
    Von Meike Wagner
  • Was sucht ein Dramaturg am Puppentheater?
    Ein Praxisbericht.
    Von  Bernd Dittrich
  • Das innere Bild.
    Intention und Intuition eines Dramaturgielosen.
    Von Joachim Fleischer

Festivals

  • Zwischen den Welten.
    Über das 16. Festival International de Teatre Visual i de Titelles in Barcelona.
    Von Silvia Brendenal
  • Patchwork und Collagen.
    IV. Internationales Festival für Solopuppenspieler in Lodz
    Von Zuzanna Glowacka
  • Suppe ohne Salz/Streifzüge.
    Über die 16. Giboulées de la Marionnette in Stasbourg.
    Von Silvia Brendena und Annette Dabs

Rezensionen

  • Mondsüchtig.
    „Sommernachtstraum – reorganisiert“ im FITZ! Zentrum für Figurentheater in Stuttgart.
    Von Christoph Lepschy
  • Struwwel-Werthers Todesspiel.
    „Die Leiden des jungen Werthers“ am Puppentheater der Stadt Halle.
    Von Hartmut Topf
  • Ein Amerikaner in Bulgarischem Nebel.
    „Lyubo“ im HERE Arts Center, New York City.
    Von Karen Rosenberg
  • Wenn die Satire ein Problem bekommt.
    „Schöne Aussichten“ von Evelyn Arndt im Forum Freies Theater in Düsseldodrf.
    Von Anke Meyer
  • Mordsspaß.
    „Macbeth für Anfänger“ von Tristans Kompagnons im Nürnberger Theater der Puppen im Kali.
    Von Katja Spiess
  • Dick, naiv, doch liebesfähig.
    Mozarts „Zauberflöte“ als witzige Reality-Show im Puppentheater Dresden.
    Von Tilo Harder

Bühnenportrait

  • Ein Haus für Gäste.
    10 Jahre Theater laboratorium in Odlenburg.
    Von Annette Dabs
  • Der Süden Skandinaviens oder die Gbäudeflüsterer.
    Annette Dabs im Gspräch mit Pavel Möller-Lück

Buchbesprechung

  • Pédagogie et Formation.
    2. Band der Reihe « Carnets de la Marionnette » hrg. von Themaa/Les èditions théâtrales, Pairs 2004.
    Von Gert Engel
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double #04

Vorstellung und Wahrnehmung.
Zuschauerperspektiven

Heft 1/2005

Inszenierungen: Arnsberg, Berlin, Bonn, Düsseldorf
Bühne: Stuttgart


Editorial

Herman Melvilles berühmter Roman von 1851 beschreibt eine Weltreise mit Schiffbruch. Nicht nur die Crew um Kapitän Ahab geht dabei zugrunde, der Roman verabschiedet auch ein ästhetisches Paradigma der Naturwahrnehmung. Die Weltmeere liefern hier kein romantisches Sehnsuchtsbild mehr, sondern sie sind Schauplätze namenloser Schrecken. Ihre ganze Macht entfalten sie nicht zuletzt, weil die Muster der menschlichen Wahrnehmung nicht hinreichen sie zu erfassen. So ist denn der weiße Wal einerseits ein Phantom,die Vision eines Dämons und Ausgeburt der Vorstellungskraft: Das Weiß des Wals wird zur Projektionsfläche menschlicher Angst vor allem, was sich wie Moby-Dicks zerrunzelte Stirn der Lesbarkeit entzieht.Andererseits ist er weit mehr als ein Symbol. Denn der Wal taucht am Ende tatsächlich aus dem Pazifik auf und vernichtet das Schiff.

Das Verhältnis von Vorstellung und Wahrnehmung ist in Melvilles Roman nicht hintergehbar:Wir können nichts von den Motiven des Wals erfahren; wir lesen allein,wie sich Vorstellung und Wahrnehmung von ihm entsprechen und nicht entsprechen. Die Frage, inwieweit die Wahrnehmung des Wals von den  Vorstellungen abhängt, die sich die Mannschaft (und der Leser) zuvor von ihm gemacht haben, bleibt. Und umgekehrt?

Es sind Fragen, die auch im Puppen-, Figuren- und Objekttheater auf ihre Weise virulent sind. Wahrnehmung und Vorstellung scheinen sich da (und nicht nur da) ständig zu verfehlen bzw. zu entgleiten.Das ist freilich kein Manko, sondern vielleicht eine der grundlegenden Möglichkeiten dieser Theaterform: Was heißt es, wenn wir eine Puppe als „belebt“ wahrnehmen? Welche Vorstellungen vom Begriff des „Lebendigen“ leiten uns als Zuschauer? Auf welche Weise beeinflusst der Blick des Zuschauers die Vorstellung vom Objekt auf der Bühne? Wie gehen die Theatermacher mit dem Wissen um diesen Blick in ihren Inszenierungen um? Wie funktioniert der kindliche Blick auf die Dinge?

Einige dieser Fragen haben die Autoren des Schwerpunktthemas untersucht. Dabei ließ sich auch ein Spektrum von sehr unterschiedlichen  Beschreibungsweisen versammeln. Aus der Perspektive der Bildenden Kunst skizziert Alfred Bast einen Wahrnehmungsstil, der auf Resonanzbeziehungen zwischen Künstler und Ding basiert. Die italienische Theatermacherin Françesca Bettini hat eine literarisch-dramatische Recherche über die Integration des zusehenden Blicks beigesteuert, während der niederländische Künstler Ad van Iersel explizit über seine Beziehung zum Zuschauer beim Spielen berichtet. Gerd Taube erweitert das Thema mit einer Reflexion über die Problematik affirmativer Bestätigung der Zuschauererwartung und schließlich gibt Siemke Böhnisch einen Eindruck vom aufmerksamen Blick jenseits jeglicher Zuschaukonvention, dem Blick der Allerkleinsten unter drei Jahren.

Silvia Brendenal und Christoph Lepschy

Inhalt

Vorstellung und Wahrnehmung.
Zuschauerperspektiven

  • Von der Entdeckung des offen Sichtlichen oder Die Sprache der Dinge
    von Alfred Bast
  • Unsichtbare Bananen
    Eine Frage-Antwort-Spiel zwischen Gert Engel und Francesca Bettini
    von Gerd Engel und Francesca Bettini
  • Keine Gedanken, keine Botschaft
    Gespräch mit dem niederländischen Theatermacher Ad van Iersel
    von Ad van Iersel
  • Affirmation und Perfektion
    Hindernisse für ein avanciertes Theater
    von Gerd Taube
  • Das Philoktet-Projekt
    Über einen Workshop mit Emilio García Wehbi in Berlin
    von Oliver Kranz
  • Scheinwerfer der Aufmerksamkeit: Zuschauen als Bestandteil der Aufführung
    Über die norwegische Produktion „drǻpene“ und die Allerkleinsten im Theater
    von Siemke Böhnisch

Festivals

  • Großer Bahnhof für kleine Zuschauer
    „Kulturbahnhof“ in Hamm: ein neues Theaterhaus für Kinder und ein fast neues Festival
    von Anke Meyer
  • Niederländische Theaterexperimente
    Über das Amsterdamer Festival RISK
    von Silke Haueiß
  • Erdachte Bildwelten
    „Die Kleemaschine“ beim Festival WEITBLICK, Braunschweig
    von Marianne Winter

Inszenierungen

  • „Ich möchte wohl ein Baum sein“
    „Auf Holzwegen“ des Teatron Theaters Arnsberg
    von Johanna Renger
  • Sein Herz brennt
    „Feuer und Flamme“ der Pyromantiker AG im Berliner Tacheles
    von Gerd Taube
  • Sieg über das Kino
    „Der Hobbit“ vom Figurentheater Wilde & Vogel und Florian Feisel in der Brotfabrik Bonn
    von Elisabeth Fibich
  • Wie das Bild vom Einhorn durch die Schöpfung wandert
    „Das Mädchen mit dem steinernen Rock“ von Silke Kruse in der SCHAUBUDE Berlin
    von Marianne Fritz
  • Von Pelztierkochern und anderen Absurditäten
    „Die Tagebücher von Kommissar Zufall“ von half past selber schuld im FFT Düsseldorf
    von Annette Dabs

Bühne

  • Aufbruch in die Zukunft
    Gespräch mit Annette Scheibler vom Stuttgarter Ensemble Materialtheater
    von Annette Scheibler

Nachruf

  • Peter Klaus Steinmannn (1935 – 2004)
    von Christoph Lepschy

Buchbesprechung

  • Kiefer, Joachim: Die Puppe als Metapher, den Schauspieler zu denken.
    München: Alexander Verlag, 2004. 162 S. ISBN 3-89581-128-9
    von Manfred Wegner

Notizen

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double #03

Abbild und Zeichen
Die Theaterpuppe

Heft3/2004

Tagung: Halle
Bühne: Hiddensee


Editorial

Jede Inszenierung mit Puppen basiert auf einem bildnerischen Entwurf. In jeder gestalteten Theaterpuppe manifestiert sich ein wesentlicher Teil dieses Entwurfs. Und die Ausgestaltung rekurriert – solange es sich auch nur im entferntesten Sinn um anthropomorphe Figuren handelt – auf den menschlichen Körpers. Es wird ein Abbildungsverhältnis etabliert, wie realistisch oder abstrahierend, reduzierend, stilisierend oder karikierend, wie „offen“ oder festgelegte Typen schaffend auch immer.

Und gerade in der ihr eigenen Anverwandlung des menschlichen „Vorbilds“, besonders der Physiognomie, wird die Puppen schon durch die Gestaltung zum Zeichen,zu einer Art„Double“ für eine immer schon stattfindende Deutung: „Der Körper ist Zeichenträger des Menschen und wir sind seit Urzeiten gewöhnt, ihn zu
interpretieren.“ (1) Diese Interpretationen haben – in der Kunst ebenso wie in verschiedenen wissenschaftlichen Diskursen – manch seltsame bis unglaubliche Blüte getrieben, einige davon verströmen ihren unangenehmen Duft bis heute. Und der Glaube an die vollständige Erklärbarkeit des Menschen aus seiner Anatomie wirkt aus dem 18. Jahrhundert bis heute nach, seinen Niederschlag findet er nicht nur in rassistischen Theorien, sondern nicht zuletzt auch im normierenden Schönheitswahn der Massen-Bildmedien. Auch in diesem Sinn bleibt die Frage nach der Gestaltung von Theaterpuppen im zeitgenössischen Theater relevant.

Anknüpfend an die Frage nach Fremdheit und Verfremdung des menschlichen Körpers in double 02 stellen wir deshalb nun die Frage nach Beschaffenheit, Aneignung und Chiffrierung des fremden Körpers per se: dem der Puppe.Wobei wir vor allem deren Relevanz für das Theater im Blick haben. Inwieweit beeinflusst die Entscheidung für eine bestimmte Art von Puppe, für ein spezifisches Material, für einen Grad von Abstraktion oder Konkretisierung den inszenatorischen Prozess? Welche Darstellungsmöglichkeiten eröffnet eine präzise gestaltete Theaterpuppe dem Regisseur und dem Spieler? Und welches Menschen und Rollenbild spiegelt sich in den jeweiligen Gestaltungsprinzipien der Theaterpuppe? Wie wirkt der Darstellungsprozess zurück auf die Puppe?

Dies sind einige der Fragen, denen in dieser Ausgabe von double nachgegangen werden soll. So untersucht Enno Podehl das Prinzip der „offenen Figur“, die weniger naturalistisches Abbild als „Entdeckungsmedium“ für die un- und unterbewussten Sphären menschlicher Existenz sein will. Konstanza Kawrakowa-Lorenz wiederum stellt drei deutsche Puppengestalter vor, die mit ihren
entschieden und „souverän“ gestalteten Puppen klare Deutungsvorschläge
für die Inszenierungs- und Rollenarbeit vorgeben. In einem Interview mit Neville Tranter stellt Eliane Attinger die Frage, wie sich Puppenbau und Stückentwicklung bei einem Spieler, der sein eigener Puppengestalter ist, gegenseitig beeinflussen. Der französische Theatermacher Laurent Contamin wiederum beschäftigt sich mit dem Phänomen der „Künstlerpuppen“, also jenen Theaterfiguren, die von bildenden Künstlern für die Bühne gestaltet wurden. Und schließlich eröffnet, im Anschluss an den Thementeil, Gerd Taubes Resümee eines Vortrags von Luca Farulli den Blick auf die Herstellung und Aufnahme von „inneren Bildern“ und schlägt damit eine Brücke zu den Gestaltungs- und Rezeptionsvorgängen im Objekttheater.

Anke Meyer und Katja Spiess

(1) Jan Gerchow in „Ebenbilder –Kopien von Körpern – Modelle des Menschen“, Ausstellungskatalog
Ruhrlandmuseum Essen 2002.

Inhalt

Abbild und Zeichen
Die Theaterpuppe

  • Erlebnis des Findens
    Die Puppen als Entdeckungsmedium
    von Enno Podehl
  • w.w.w.: Weinhold, Werdin, Wächter
    Puppengestaltung und Menschenbilder
    von Bogdana Lorenz und Konstanza Kavrakova-Lorenz
  • Die Stimmen entstehen, während ich die Puppen baue
    Neville Tranter im Gespräch mit Eliane Attinger
  • „Marionnettes d’Artistes“
    Gedanken zu einer Ausstellung in Cherleville-Mézières
    von Laurent Contamin
  • Die Puppe als heiliges Objekt
    Über die Zusammenarbeit mit Enrico Baj
    von Massimo Schuster

Tagung

  • Spiel mit den Eindrücken
    Luca Farulli über Phantasie und Wahrnehmung
    von Gerd Taube

Festivals

  • Spannungsvolle Gegensätze
    FIGURA Theaterfestival 2004 in Baden (Schweiz)
    von Eveline Gfeller
  • Mutig und rigoros
    Internationales Forum VERSUCHUNG in Berlin
    von Barbara Fuchs
  • Konzeptionelle Doppelung
    Internationales Puppenfestival LUTKE in Ljubljana
    von Anke Meyer
  • PUCK 2004
    Festwoche am Puppentheater der Stadt Halle
    von Katja Spiess
  • Von der Holzoper auf die Kulturinsel
    50 Jahre Puppentheater Halle
    von Gerd Taube

Inszenierungen

  • Wohl dem, der seinem Yeti begegnet
    Eine neue Inszenierung von Gyula Molnar und Francesca Bettini
    von Helmut Pogerth
  • 25 Jahre Waidspeicher – Puppentheater Erfurt
    Premieren am Jubiläumswochenende: „Werther“ und die „Zweite Prinzessin“
    von Henryk Goldberg und Jörg Lehmann
  • Alptraum mit Bleistift
    Figurentheater PARADOX, Stuttgart: „Die Besessenen“
    von Cord Beintmann
  • „Aber ich // gebe nichts zu“
    „Wahnsinnsfrau Anne Sexton“ am Puppentheater der Stadt Magdeburg
    von Anke Meyer
  • Sindbad im Bootshaus
    von Silvia Brendenal

Bühne

  • Auf der Insel
    Silvia Brendenal im Gespräch mit Karl Huck
    von Silvia Brendenal und Karl Huck

Buchbesprechung

  • Voss, Robert: Ezzas Laden.
    Edition Materialtheater Stuttgart. Halle an der Saale/Brüssel 2004. Bilderbuch mit farbigen Illustrationen. ISBN 3-00-013539-1
    von Nicole Mieding

Notizen

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double #02

Fremde Körper
Diesseits der Animation


Editorial

Von Verstörung und Zerstörung ist im Thementeil dieses Heftes häufig die Rede. Es geht dabei um die Zertrümmerung von Auffassungen, die als gesichert galten, weil sie wissenschaftlich bewiesen schienen. Die poststrukturalistischen Philosophen haben mit ihren Schriften daran gearbeitet, diese wissenschaftlichen Beweise als vorgebliche zu entlarven und die Täuschungen offen zu legen, denen die Menschheit aufgesessen sei. Die Dekonstruktion des aufklärerischen Weltbildes findet vornehmlich im Kopf statt. Denkfiguren drehen Pirouetten. Wer dem folgen will, der folge.

Schon einmal, über ’50 Jahre vor der Entstehung dieser Denkfiguren, gab es Denker, die Täuschungen als solche kenntlich machten und bis dahin als unerklärlich und damit magisch geltende Phänomene mit den Gesetzen der Physik, der Chemie und der Biologie zu erklären versuchten. Im Geiste der Aufklärung wurde aus den Prinzipien der schwarzen Magie, mit der Scharlatane das Volk staunen und gruseln machten, eine weiße, eine natürliche Magie. Die Magie des Natürlichen.

Die Wahrnehmung des Menschen galt den aufklärerischen weißen Magiern und gilt den poststrukturalistischen Entzauberern gleichermaßen als ein Prozess, dessen Konditionierung entscheidenden Einfluss auf das Funktionieren der Täuschung hat. So sprach David Brewster in seinen schon eingangs zitierten „Briefen über die natürliche Magie“ vom Auge als einem wunderbaren Organ, das als eine Schildwache betrachtet werden könne“, welche den Uebergang von der geistigen zur körperlichen Welt bewacht, und wodurch der gegenseitige Austausch ihrer Mittheilungen erfolgt.“ Schulung der Wahrnehmung durch das Auge und Schulung des Geistes, das hieß Aufklärung über natürliche Prozesse und deren populäre naturwissenschaftliche Erklärung. Nach Auffassung von David Brewster vermochte das, die Waffen der Schildwachen im Kampf gegen jene Täuschungen zu schärfen, denen das Gemüt Tür und Tor zu öffnen bereit war. Puppenspieler und allerlei andere Jahrmarktsgaukler gehörten übrigens Hoichi Okamoto in „Kiyohime Mandala“, Dondoro Theater (Japan). Foto: Theater zu seinen Zielscheiben, denn sie verdienten mit der Täuschung des Volkes auch noch Geld.

Es sind allerdings mitnichten Moral und aufklärerischer Geist, welche die poststrukturalistische Philosophie und ihre Anwendung auf das Puppen- und Figurentheater motivieren. Obwohl auch da die Wahrnehmung und die oftmals damit verbundene Täuschung zum Topos der unterschiedlichen Theorieansätze geworden ist. Diese Theorien jedoch darauf zu verkürzen, hieße ihnen genauso unrecht zu tun, wie den aufklärerischen weißen Magiern, wenn man ihnen nur moralisierenden Kampf gegen Scharlatanerie und Aberglaube unterstellte.

Wir laden Sie ein, sich im Thementeil der zweiten Ausgabe von double mit uns gemeinsam auf einen Streifzug durch unterschiedliche Theorieansätze im Blick auf das aktuelle Puppen-, Figuren- und Objekttheater einzulassen. Jedesmal nähern wir uns aus einer anderen Richtung denselben Phänomenen, dem Übergang des Leblosen zum Lebendigen und umgekehrt. Viele der Besprechungen und Berichte über Inszenierungen in unserem Heft fügen diesen theoretischen Annäherungen praktische Beispiele hinzu, gleichsam das notwendige Quantum konkreter Anschauung und Beschreibung. Nachdem wir im ersten Heft den fremden Blick thematisiert haben, nehmen wir nun die fremden Körper ins Visier. Wohl bedenkend, dass der fremde Körper erst fremd wird durch den Blick, der auf ihn fällt.

Das Projekt eines Magazins für Puppen-, Figuren- und Objekttheater beginnt sich zu verstetigen. Herausgeber, Redaktion und Verlag arbeiten gleichwohl weiter am inhaltlichen und gestalterischen Profil von double. Noch ist nicht jedes redaktionelle oder grafische Prinzip bis zu Ende diskutiert, noch sind wir sicher, einiges verbessern zu können. Über ein Prinzip sind wir uns jedoch einig, das Prinzip einer kritischen Öffentlichkeit für alle Formen des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters. Deshalb lesen Sie double und reden Sie darüber!

Gerd Taube und Meike Wagner

Inhalt

Thema

  • MeikeWagner
    Fremde Körper – Diesseits der Animation
  • Christoph Lepschy
    Widerspenstiges Material
  • Pia Müller-Tamm und Katharina Sykora
    Paradigmen des Künstlerischen
  • Meike Wagner
    Körper-Störung
  • Hamster Damm
    Die Wahrnehmung des Zuschauers verändern

Festival

  • Chris Wahl
    Den Horizont der Wahrnehmung öffnen
    FIDENA 2004 in Bochum
  • Jörg Lehmann
    Aufbruch! Umbruch. Durchbruch?
    SYNERGURA 2004 in Erfurt
  • Silvia Brendenal
    Punch und Judy aus Tschechien
    UNIDRAM in Potsdam

Ausbildung

  • Anke Meyer
    Fragen an die Ausbildung
    Internationales Festival der Puppent heaterhochschulen in Bialystok
  • Silvia Brendenal und Marek Waszkiel
    Schulen im Dialog?
    Ein Gespräch
  • Waltraud Diessner
    Eine Vorstellung von der Lehrzeit
    Tage der Hochschule in Berlin

Tagung

  • Annette Dabs
    Kunst oder Politik
    UJNIMA Welt kongress 2004 in Opatij

Inszenierungen

  • Konstanza Kawrakowa-Lorenz
    Umerziehung oder die Last des Blutes
    „Orestie“ in Basel
  • Marianne Fritz
    Karussell der Helden
    „Helden des 20.Jahrhunderts“ in Frankfurt und Basel
  • Anke Meyer
    Auf der Suche nach dem Ich
    „vom Adler, der nicht fliegen wollte“ und „Lebwohl, bis morgen!“
  • Gerd Taube
    Den Kosmos heraufbeschwören
    „Elsas Schöpfung“ in Stuttgart

Buchbesprechung

Notizen

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double #01

Der fremde Blick


Editorial

Das Spiel schien geendet, als plötzlich der Puppenspieler sein zur furchtbaren Fratze verzerrtes Antlitz emporhob in den Raum der Puppen und mit totstarren Augen gerade hin in den Kreis blickte. Pulcinell von der einen Seite, der Doktor von der anderen schienen über die Erscheinung des Riesenhauptes sehr erschrocken, dann erholten sie sich aber, beschauten sorglich mit Gläsern das Antlitz, betasteten Nase, Mund, die Stirn, zu der sie kaum hinauflangen konnten, und begannen einen sehr tiefsinnigen gelehrten Streit über die Beschaffenheit des Haupts und auf welchem Rumpf es sitzen könne, oder ob überhaupt ein Rumpf als dazugehörig anzunehmen. Der Doktor stellte die aberwitzigsten Hypothesen auf, Pulcinell zeigte aber dagegen viel Menschenverstand und hatte die lustigsten Einfälle. Darum wurden sie zuletzt einig, daß, da sie keinen zum Kopf gehörigen Körper wahrnehmen könnten, es auch keinen gäbe.
E.T.A. Hoffmann, Der Doppeltgänger

Eine neue Zeitschrift liegt vor Ihnen: double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater. Schon der Dreiklang im Untertitel deutet auf Uneinigkeit: Denn vielgestaltig sind die Namen für das Theater geworden, dem wir diese Zeitschrift widmen. Unmöglich scheint die Verständigung auf einen Begriff, einen kleinsten gemeinsamen „Nenner“. Diese Vielfalt an Namen, der engagierte Diskurs um die Gattungsbestimmung erzählt freilich nicht nur von der Lebendigkeit des Genres. Er ist auch Ausweis einer Geographie in Bewegung, einer Theaterlandschaft, die – an der Peripherie des Kulturbetriebs siedelnd – eine beispiellose Dynamik entwickelt hat. Dementsprechend verstehen wir auch die Erstausgabe dieser Zeitschrift weniger als fertiges Produkt denn als ersten Schritt eines Prozesses, offen für Veränderung und Entwicklung.

In den letzten 50 Jahren ist das Puppenspiel aus den relativ engen Gefilden eines Volkserziehungsinstruments ausgebrochen und versteht sich nunmehr selbstverständlich als eigenständige Kunstform. Die Erweiterung des Spielmaterials von plastisch gestalteten Puppen auf Gegenstände, Räume, Licht hat eine Brücke zur bildenden Kunst, zur Installations- und Performancekunst entstehen lassen. Aus der Öffnung des Spielraums, der Aufsprengung des klassischen Guckkastens und dem Erscheinen des Spielers selbst auf der Bühne des Puppentheaters,als Partner und/oder als Animator ist eine Verbindung zum Schauspiel gewachsen.

Dergestalt präsentiert sich das Puppen- und Figurentheater heute als offene und durchlässige Kunstform,als Schnittpunkt unterschiedlicher theatralischer Forschungsfelder. Der Titel double ist nicht von ungefähr gewählt. Das Thema der
Doppelung ist seit jeher eines der großen Themen des Puppen- und Figurentheaters: Es ist ein Theater der Parallelwelten und Simulacren, der Doppelgänger und Spiegelbilder. Dinge, Puppen, Materialien sind in jeder Inszenierung in ein neues, anderes Verhältnis zum Darsteller gesetzt. Diese Beziehung – zwischen den Körpern und ihren „doubles“ – muss jedes Mal neu bedacht und untersucht werden. Denn die Grenze zwischen diesen „Welten“, zwischen der Simulation und dem Simulierten folgt allein der spielerischen Behauptung. Sie kann deutlich und entschieden gesetzt werden: Hier der Puppenspieler,dort die Puppe; das kann ein eindeutiges hierarchisches Verhältnis sein – wie wir es etwa vom klassischen Marionettenspiel kennen. Sie kann aber auch sehr unscharf werden, wenn sie – etwa im Objekttheater – die Aufmerksamkeit vor allem auf die Beschaffenheit und Gemengelage der Welt der Dinge richtet – in Erwartung ihrer Erwiderung.

In einer solchen Welt ist der Darsteller nicht mehr der auktoriale „Manipulator“,vielmehr wird er Teil einer fremden Welt, in der Hoffnung das „vergessene Menschliche“ (Walter Benjamin) der Dinge wahrnehmbar zu machen. Die Archäologie jener Grenze, die Frage nach der Differenz zwischen Körpern und Dingen eignet daher jeder Inszenierung dieses Theaters auf ganz spezifische Weise. Es ist eine Frage, die auch die merkwürdige Eigentümlichkeit des „Doppelgängers“ erkundet.Denn wer da wen doppelt, ob „Original“ und „double“ überhaupt unterscheidbar wären, oder inwiefern ihnen darum zu tun ist, ebensolche Unterscheidbarkeit zu verwischen, ist eine jener konkreten Seherfahrungen, die das Puppen- und Figurentheater mannigfach bereit hält.

Viel Vergnügen bei der Lektüre. Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer, Katja Spiess, Gerd Taube, Meike Wagner, Manfred Wegner

Inhalt

Thema

  • Der fremde eigene Blick
    Über den scheinhaften Altruismus der künstlerischen Begegnung mit dem Fremden
    Gerd Taube
  • Das verwunschene Schiff
    „until doomsday“ an der Theaterakademie Warschau, Abteilung Puppenspiel, Bialystok
    Silvia Brendenal
  • Drei Lektionen
    Marcin Bartnikowski
    Jüngste Tage in Bialystok
    Charlotte Wilde und Michael Vogel
  • Dieser irritierende Blick
    Ovids „Metamorphosen“ als deutsch-tunesische Koproduktion
    Jörg Lehmann
  • Mina-el bidaya-badaa-koulou chai
    Heiki Ikkola
  • Maturins, Marionnettes et Lisolo
    Oder die Zusammenarbeit französischer, deutscher und kongolesischer Künstler
    mit Straßenkindern von Kinshasa
  • Dies ist kein Land
    Stefanie Oberhoff
  • „Oyo Mboka Te“
    Eddy Kabeya
  • Was der Sand erzählt
    Uraufführung einer französisch-kongolesischen Koproduktion
    Katja Spiess

Festival

  • Wie ein lauer Frühlingsregen
    Über das 15. Internationale Festival Giboulées de la Marionnette in Strasbourg
    Frank Bernhardt
  • Theaterlandschaft mit Risiko
    Das Festival RISK in Amsterdam zeigt niederländisches Puppen- und Objekttheater
    Anke Meyer
  • Schauen und Spielen im Kindertheaterhaus
    Symposium „Europäische KinderTheaterHäuser“ in Lippstadt
    Anke Meyer
  • Zwischen innen und außen
    Gedanken zum Ersten Europäischen Treffen in Val d’Oise
    Melanie Florschütz

Inszenierungen

  • Über den Horizont hinaus
    Theater Paradox, Stuttgart:„Mrs. Ikarus“
    Anke Meyer
  • Tanz das Leben – just do it!
    Compagnie IGNEOUS:„Body in Question“
    Silke Haueiss
  • In Minnes und Zufalls Hand
    Am Theater der Puppen im Kali, Nürnberg:„Tristan und Isolde“
    Dieter Stoll
  • Das Prinzip Zweifel
    Oder: Die Kasokas im Himmelreich der Fernsehproduktion Theater Kasoka, Berlin: Sacrés Soeurs
    Johanna Renger

Porträt

  • Körpergemälde
    Das Theater der ukrainische Regisseur Andriy Zholdak
    Annette Dabs

Gespräch

  • Reicher Fundus
    Gespräch zur Ausbildung am Studiengang Figurentheater, Stuttgart

Kolumne

  • Ich und meine Puppe
    Meike Wagner

Buchbesprechung

Notizen

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