Deutsch sein!?
Eine Frage zur Zeit
Heft 1/2018
Festivals: Berlin, Bukarest, Stuttgart, Turku
Jubiläen: Ensemble Materialtheater, marotte Figurentheater, VDP
„Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“, formulierte Karl Valentin einst treffend. Es ist die Begegnung mit den Fremden, die im Zuge einer der größten Fluchtbewegungen seit dem 2. Weltkrieg auch in Deutschland dazu führt, die eigene Kultur zu hinterfragen. Und dieses Feld sollte nicht nur Stimmen überlassen bleiben, die möchten, dass ‚deutsches Theater von Deutschen für Deutsche‘ gemacht wird und damit auf irgendeine Weise zu ‚echten deutschen‘ Kulturwerten beiträgt. Double hat sich mit seinem Themen-Teil einem differenzierten Blick verschrieben, um zu klären: Was genau passiert denn in der Praxis des ‚deutschen Puppenspiels‘, des ‚Puppenspiels in Deutschland‘ heute und wie sieht es in den Köpfen der Figurenspieler aus, die beitragen zur Kunst und Kultur in Deutschland? Was bedeutet es in einer Situation, in der viele Künstler-Gruppen in Deutschland arbeiten und gleichzeitig enorm international vernetzt sind, von ‚deutschem Puppenspiel‘ zu reden?
Der Thementeil ist ein sehr persönlicher geworden – denn ist wohl kaum möglich, bei „Deutsch sein?!“ auf einer objektiven Ebene zu operieren, nein, man muss Position beziehen, seine ganz persönliche Schräglage im Kulturfeld aufzeigen, und damit die Frage der Identität offen halten für dynamische Verhandlungen. Meike Wagner, Theaterwissenschaftlerin, berichtet, wie es ist, das ‚deutsch Sein‘ von außen zu erfahren. Tim Sandweg, künstlerischer Leiter der Schaubude Berlin, blickt auf drei Ausstellungen, die über Objekte und Bilder ‚deutsch Sein‘ vermitteln. Lars Rebehn, Puppentheater-Historiker, polemisiert gegen eine nationalistische Puppentheater-Geschichtsschreibung. Vier sehr persönliche Positionen zu ‚deutsch Sein‘ nehmen ein: Silvia Brendenal, ehemalige künstlerische Leiterin der Schaubude, aus Ost-West-Perspektive, Kotti Yun, Puppenspielerin, aus koreanisch-deutscher Perspektive, Antonio Cerezo, Puppenspieler, aus mexikanisch-deutscher Perspektive, Sarah Chaudon, Figurentheater-Studentin, aus französischdeutscher Perspektive. Thomas Stumpp, Puppentheater-Referent beim Goethe-Institut, spricht mit double über die Arbeit des Kulturinstituts zwischen ‚deutscher Kultur‘ und ‚Kultur in Deutschland‘. Zwei Berliner Puppenspiel-Studentinnen berichten von ihrer Reise zu sächsischen Stadttheatern und diskutieren die Frage, ob die kommunalen Puppentheater für sie eine attraktive Zukunftsvision bieten könnten. Ljiljana Dinic, serbische Kuratorin und Redakteurin, wirft aus der Ferne einen Blick auf das deutsche Figurentheater.
Auch in den folgenden Artikeln ist Puppentheater-Kultur in Deutschland immer wieder Thema: Kulturpolitisch in Charlotte Wildes kritischem Praxisbericht zur deutschen Projektförderung oder in der Würdigung des Verbands deutscher Puppentheater, der vor 50 Jahren gegründet wurde. Mit dem Ensemble Materialtheater und dem marotte Figurentheater feiern zwei „Urgesteine“ des deutschen Figurentheaters 30-jähriges Bestehen. Diese Artikel und die Festivalberichte vom „Theater der Dinge“ in Berlin, von der Imaginale in Stuttgart, aus Finnland und Bukarest, die Rezensionen aus Frankreich, Schweden und Deutschland zeigen, wie bunt und vielfältig die Puppen-, Figuren- und Objekttheaterszene ist – wo auch immer.
Ebenfalls bunt ist das neue double, das neben Farbfotos auch mit längeren englischen Zusammenfassungen der Themenartikel aufwartet (S. 50/51). In diesem Sinne gilt in Abwandlung der oft gehörten politischen Phrase für double tatsächlich: „Deutsch sein?!“ ist bunt!
Dr. Meike Wagner und Mascha Erbelding
THEMA
Deutsch sein!? Eine Frage zur Zeit
- Kiss me I am German
Wie man ‚deutsch sein’ von außen lernt
Meike Wagner - „Denk ich an …“
Ein Ausstellungsbesuch
Tim Sandweg - Kasper International
Eine Polemik wider 100 Jahre nationalistische Puppentheaterforschung in Europa
Lars Rebehn - „Deutsch sein?!“ – Positionen zu einem komplizierten Thema
Silvia Brendenal, Kotti Yun, Antonio Cerezo, Sarah Chaudon - „Eigentlich arbeiten wir an der kulturellen Entropie“
Mascha Erbelding, Meike Wagner im Gespräch mit Thomas Stumpp vom Goethe-Institut - Puppenspiel in Deutschland
Eine Reise in die sächsischen Lande
Josephine Hock, Jemima Milano - Ein Blick aus der Ferne
Das Bild des deutschen Figurentheaters
Liljana Dinicć
POLITIK
- Für eine Förderung der Künstler
Ein Praxisbericht über die Tücken der deutschen Projektförderung
Charlotte Wilde
FESTIVAL
- Paradoxe Kasper-Renaissance
Rückblick auf das Festival „Theater der Dinge” an der Schaubude
Tom Mustroph - Nächte der Erkenntnis
Die Imaginale 2018 in Baden-Württemberg lotet Möglichkeitswelten aus
Petra Mostbacher-Dix - “Finnish puppetry is ready to conquer the world!”
Freie finnische Puppenspielszene auf dem TIP-Fest in Turku
Katrin Gellrich - Kontraste
Stippvisite beim Festival ImPuls in Bukarest
Anke Meyer
JUBELN
- Kino im Kopf
30 Jahre Ensemble Materialtheater
Mascha Erbelding - Mit Känguru-Sprung zum Erwachsenenpublikum
30 Jahre Figurentheater marotte in Karlsruhe
Johannes Frisch - Kollegiale Vielfalt
Interview mit Ilsebyll Beutel-Spori zum 50-jährigen Bestehen des Verbands deutscher Puppentheater
Mascha Erbelding
INSZENIERUNG
- Grenzerkundungen
„Robot Dreams“ von Meinhardt & Krauss in Stuttgart
Anke Meyer - Eine Frage des Maßstabs
„Skvalpet“ (Schwund) von Malmo Dockteater im Orionteater, Stockholm
Rikard Hoogland - Lebensecht
„Un secret de rue“ der Cie Papiertheatre auf dem Festival in Charleville-Mezieres
Annette Dabs
NOTIZEN & FESTIVALKALENDER
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SUMMARY
„BeingGerman?!” A current question
In clear contradiction to voices – above all from the right-wing populist spectrum – that want ‘German theatre to be made by Germans for Germans’, double asks what ‘being German’ could even mean today: and that includes ‘being German’ in the area of puppetry. For example, what do puppeteers who contribute to art and culture in Germany think? The theme section is very personal because it is hardly possible to take an objective stance towards the question of “being German?!”. In an introductory article, Meike Wagner talks about what it is like to experience ‘being German’ from the outside. Tim Sandweg looks at three exhibitions, which communicate ‘being German’ in their own way by means of objects and pictures. Lars Rebehn polemicizes against a nationalistic puppet theatre historiography. This is followed by differentiated artist’s views from a Korean- German, Mexican-German, French-German and East-West perspective as well as a discussion on how the Goethe-Institute balances its work between ‘German culture’ and’ culture in Germany’. The theme section is completed with two student statements on the question of whether municipal puppet theatre might offer an attractive vision of the future; and the Serbian curator Ljiljana Dinic´s far-off view of the German puppet theatre. – NEW: On pages 50 and 51 you will find English summaries of all topics and a brief overview of the contents of each section.
CONTENTS double 37
EDITORIALTHEME: Being German?!
- Meike Wagner
Kiss me I am German. How to learn to ’be German’ from the outside. - Tim Sandweg
“When I think of Germany…” Three exhibition visits. - Lars Rebehn
Kasper International. A polemic against a century of nationalistic puppet theatre research in Europe. - Silvia Brendenal, Kotti Yun, Antonio Cerezo, Sarah Chaudon
“Being German?!” Opinions on a complicated theme. - “We´re really working on cultural entropy”
A conversation with Thomas Stumpp, Goethe-Institut - Josephine Hock and Jemima Milano
Puppetry in Germany. A journey into the Saxony region. - Ljiljana Dinic
A View from far. A picture of German puppet theatre.
POLITICS
- Charlotte Wilde
Promoting artists. Practical experiences of the challenges of German project requirements.
FESTIVAL
- Tom Mustroph
A paradoxical ’Kasper’ Renaissance. Looking back on the “Theater der Dinge” Festival at the Schaubude. - Petra Mostbacher-Dix
Nights of Insight. The Imaginale 2018 in Baden-Württemberg explores worlds of possibilities - Katrin Gellrich
“Finnish puppetry is ready to conquer the world!” The TIP festival in Turku, Finland in November 2017. - Anke Meyer
Contrasts. A brief visit to the ImPuls Festival in Bucharest.
CELEBRATING
- Mascha Erbelding
Cinema in the head. 30 years Ensemble Material Theatre. - Johannes Frisch
With Kangaroo Jump to Adult Audience. 30 Years of Puppet Theatre Marotte in Karlsruhe. - Mascha Erbelding
Collegial diversity. Interview with Ilsebyll Beutel-Spori on the occasion of the 50th anniversary of the Association of German Puppet Theatre.
PRODUCTIONS
- Anke Meyer
Borderline explorations. “Robot Dreams” by Meinhardt & Krauss in Stuttgart. - Rikard Hoogland
A question of scale. “Skvalpet” (Shrinkage) by Malmo Dockteater at the Orion Theatre, Stockholm. - Annette Dabs
Really lifelike. “Un secret de rue” by the Cie Papiertheatre at the festival in Charleville-Mezieres.
NOTES & FESTIVALCALENDAR