Theaterkunst im Kassenscanner.
Wie „der Markt“ das Puppentheater regelt
Heft 2/2013
Festivals: Erlangen/Nürnberg/Fürth/Schwabach, Apt (Frankreich), Hannover
Gespräch: Studiengang Figurentheater
Wenn Ryoji Ikeda in seiner Installation „test pattern [100 m version]“ literarische, musikalische und bildnerische Werke zu bar codes umrechnet, diese als überdimensionale, rhythmisierte Schwarz-Weiß-Projektion durch eine 100 Meter lange Halle schickt, eine hämmernde, treibende Musik dazu komponiert und die Besucher diesem Sog überlässt, dann ist das auch als ästhetisches Statement zur ökonomischen Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche zu lesen. Diese und andere so komplexe wie packende künstlerische Installationen waren auf der von Heiner Gobbels verantworteten Ruhrtrienale 2013 wochenlang bei freiem Eintritt zugänglich (und hervorragend besucht). Hierin könnte man ebenfalls einen Kommentar zur sich stetig verfestigenden „marktwirtschaftlichen“ Zurichtung der Künste und zur vermeintlich elitären Zielgruppe von Festivals erkennen.
Wie steht es also um das Verhältnis von Ökonomie und Kunst, macht die Omnipotenz des Marktes aus der Demokratie eine Postdemokratie? Bei der tastenden Suche nach Antworten, richten die Autoren dieser Ausgabe ihre Blicke nicht nur auf die deutsche Figurentheaterlandschaft, deren künstlerische Selbstbehauptung angesichts poröser werdender finanzieller Rahmenbedingungen immer schwieriger wird, sondern interessieren sich auch für Situationen jenseits des nationalen Tellerrands; vor allem jene, die sich historisch einmal als Orte künstlerischer Freiheit markiert und damit einige Bewunderung auf sich gezogen hatten.
In Westeuropa gilt dies sicher für die Niederlande – und seine Produktionsstätten von (Figuren-)Theater; schaute man doch – geprägt von der Geschichte und Dominanz des deutschen Stadt- und Staatstheatersystems – immer ein wenig neidisch auf die inspirierenden Netzwerke und ihre flexible Infrastruktur. Seit einiger Zeit allerdings sieht sich der dortige Kunstbetrieb radikalen Sparmaßnahmen und Umstrukturierungen ausgesetzt, die unabsehbare Konsequenzen mit sich bringen.
Ungarn war in Osteuropa lange ein Ort individueller Aufsässigkeit; immerhin wurde hier durch das Zerschneiden der Grenzzäune das Ende der Trennung in zwei sich feindlich gegenüberstehende Blöcke eingeleitet. Doch statt einer Fortsetzungsgeschichte dieser pan-europäischen Idee vernimmt man immer mehr nationalistische Töne aus Budapest, gepaart mit marktradikalen Maßnahmen. In double geben wir Akteuren der ungarischen Puppentheaterszene Raum für ihre Stellungnahmen.
Und aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir einen Bericht über die Situation freier Theater in Istanbul, wo eine junge, urbane und gebildete Mittelschicht jüngst gegen die Vernichtung öffentlichen Raumes protestierte und sich damit auch eindrucksvoll gegen die ökonomische Devise des Wachstums um jeden Preis stellte.
Weniger als Marktplatz denn als Begegnungsraum erscheinen die im weiteren besprochenen Festivals in Erlangen, Apt, Hannover, Bochum und Stuttgart. Und keinesfalls als reine Konsumenten wünscht sich der englischsprachige Essay von Isabelle Kessler die Zuschauer. Darin dürfte sie sich mit den in diesem double porträtierten Preisträgern und Jubilaren einig sein.
Ihnen allen rufen wir zu „Gegen marktkonforme Theater! Für theaterkonforme Märkte!“(1)
1 In Abwandlung eines Titels von Ingo Schulze: Unsere schönen neuen Kleider. Gegen marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte. Berlin/München 2012.
Thema
- Die Nische wird kleiner
Eine Reise durch die Ökonomisierung der deutschen Theaterlandschaft
von Tim Sandweg - Lärmendes Schweigen
Zur aktuellen Situation der niederländischen Kulturszene
von André Studt - Streichkonzerte, Fusionen, Prachtbauten
Puppentheater ohne Lobby
von Anke Meyer - „Ausheulen und neu anfangen“?
Die Abwicklung des Theater Instituut Nederland und seines Museums
von Ricarda Franzen - Anmerkungen zum Theater Instituut Nederland
von Eliane Attinger - Chaos und Ratlosigkeit
Ein kurzer Lagebericht aus der ungarischen Figurentheaterszene
von Kata Csató - Die Legende vom Budapester Rieseneichhörnchen
Ein Statement von Mobile Albania
von Roland Siegwald, Katharina Stephan und Sarah Günther - Ich will lieber wieder Amateur sein
Zwei freie Theatergruppen aus Ungarn zu ihren Arbeitbedingungen
von Iris Cseke, Gábor Pilári und Péter Sisak - Die Macht und die Kunst
Betrachtungen über Theater in Istanbul
von Ayse Selen
Essay in English
- The Art Being a Spectator
Which came first, the chicken or the egg?
von Isabelle Kessler
Festivals
- Die Welt als Tisch
18. Internationales Figurentheater-Festival Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabach
von André Studt - Zugeflogene Träume
Eindrücke vom Festival „Greli-Grelo“ 2013
von Silvia Brendenal - Gegenseitige Inspiration
Der Kunstpiep-Preis 2013 ging nach Frankreich
von Susanne Niemann - I, Robot
Clowneske Maschinen und glückliche Mutationen auf dem Festival Theaterformen
von Tim Sandweg
Jubeln!
- Wahrlich ausgezeichnet!
Was das Figurentheater Wilde & Vogel mit George Tabori zu tun hat
von Annette Dabs - Liaison der Künste
Die Theaterleiterin Silvia Brendenal und 20 Jahre SCHAUBUDE Berlin
von Esther Slevogt - Animierte Stadt oder Doppelt hält besser
Jubiläumsfestival von FITZ! und Studiengang Figurentheater
von Anke Meyer und Yvonne Dicktmüller - Createur und Interpret
Ein Gespräch mit den neuen Professorinnen des Studiengangs Figurentheater an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
von André Studt
Inszenierungen
- Ein Phänomen in der Puppenstube
„Die Geschichte von Kaspar Hauser“ im Schauspielhaus Zürich
von Gabriella Mojzes - Leere lassen
Sandy Schwermers Performance „GAPS“ in der SCHAUBUDE Berlin uraufgeführt
von Katja Hille - Krokodil frisst Kasper, …
Hartmut Liebschs „Herrmann geht nach Engelland“ bei den Mühlenfestspielen in Kocherthürn
von Gerrit Münster - Göttliches Märchenspiel
„Der Ring des Nibelungen (an einem Abend)“, eine Koproduktion von Theater Erfurt und Theater Waidspeicher
von Katja Spiess - Der Sänger führt den anderen Arm
Rückblick auf eine ungewöhnliche Probenzeit in Erfurt
von Mareike Gaubitz
Buchbesprechung
- Überleben unbezahlbar?
Zwei neue Bücher mit scheinbar widerstreitenden Perspektiven auf das ökonomische Paradigma
von Anke Mager
Notizen & Festivalkalender
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When Ryoji Ikeda’s installation „test pattern [100 m version]“ converts “ literary, musical and visual works into bar codes it is possible to view this as a commentary on the increasing influence of the market economy in cutbacks to the arts. In this edition Double questions the current relationship between the economy and the arts and whether the omnipotence of the market is turning democracy into post-democracy. In groping for answers the authors of this edition not only turn their gaze on the German puppet theatre scene whose survival is becoming increasingly more difficult given the ever more porous financial situation, but are also interested in the situation beyond Germany. This is particularly true for those countries which have historically staked a claim to being admirable places of artistic freedom: the Netherlands with its widespread shrinking number of production venues for puppet theatre; and also Hungary, where increasingly nationalistic attitudes have set in motion the political and economic destruction of its own theatre scene. This edition also.