double #03

Abbild und Zeichen
Die Theaterpuppe

Heft3/2004

Tagung: Halle
Bühne: Hiddensee


Editorial

Jede Inszenierung mit Puppen basiert auf einem bildnerischen Entwurf. In jeder gestalteten Theaterpuppe manifestiert sich ein wesentlicher Teil dieses Entwurfs. Und die Ausgestaltung rekurriert – solange es sich auch nur im entferntesten Sinn um anthropomorphe Figuren handelt – auf den menschlichen Körpers. Es wird ein Abbildungsverhältnis etabliert, wie realistisch oder abstrahierend, reduzierend, stilisierend oder karikierend, wie „offen“ oder festgelegte Typen schaffend auch immer.

Und gerade in der ihr eigenen Anverwandlung des menschlichen „Vorbilds“, besonders der Physiognomie, wird die Puppen schon durch die Gestaltung zum Zeichen,zu einer Art„Double“ für eine immer schon stattfindende Deutung: „Der Körper ist Zeichenträger des Menschen und wir sind seit Urzeiten gewöhnt, ihn zu
interpretieren.“ (1) Diese Interpretationen haben – in der Kunst ebenso wie in verschiedenen wissenschaftlichen Diskursen – manch seltsame bis unglaubliche Blüte getrieben, einige davon verströmen ihren unangenehmen Duft bis heute. Und der Glaube an die vollständige Erklärbarkeit des Menschen aus seiner Anatomie wirkt aus dem 18. Jahrhundert bis heute nach, seinen Niederschlag findet er nicht nur in rassistischen Theorien, sondern nicht zuletzt auch im normierenden Schönheitswahn der Massen-Bildmedien. Auch in diesem Sinn bleibt die Frage nach der Gestaltung von Theaterpuppen im zeitgenössischen Theater relevant.

Anknüpfend an die Frage nach Fremdheit und Verfremdung des menschlichen Körpers in double 02 stellen wir deshalb nun die Frage nach Beschaffenheit, Aneignung und Chiffrierung des fremden Körpers per se: dem der Puppe.Wobei wir vor allem deren Relevanz für das Theater im Blick haben. Inwieweit beeinflusst die Entscheidung für eine bestimmte Art von Puppe, für ein spezifisches Material, für einen Grad von Abstraktion oder Konkretisierung den inszenatorischen Prozess? Welche Darstellungsmöglichkeiten eröffnet eine präzise gestaltete Theaterpuppe dem Regisseur und dem Spieler? Und welches Menschen und Rollenbild spiegelt sich in den jeweiligen Gestaltungsprinzipien der Theaterpuppe? Wie wirkt der Darstellungsprozess zurück auf die Puppe?

Dies sind einige der Fragen, denen in dieser Ausgabe von double nachgegangen werden soll. So untersucht Enno Podehl das Prinzip der „offenen Figur“, die weniger naturalistisches Abbild als „Entdeckungsmedium“ für die un- und unterbewussten Sphären menschlicher Existenz sein will. Konstanza Kawrakowa-Lorenz wiederum stellt drei deutsche Puppengestalter vor, die mit ihren
entschieden und „souverän“ gestalteten Puppen klare Deutungsvorschläge
für die Inszenierungs- und Rollenarbeit vorgeben. In einem Interview mit Neville Tranter stellt Eliane Attinger die Frage, wie sich Puppenbau und Stückentwicklung bei einem Spieler, der sein eigener Puppengestalter ist, gegenseitig beeinflussen. Der französische Theatermacher Laurent Contamin wiederum beschäftigt sich mit dem Phänomen der „Künstlerpuppen“, also jenen Theaterfiguren, die von bildenden Künstlern für die Bühne gestaltet wurden. Und schließlich eröffnet, im Anschluss an den Thementeil, Gerd Taubes Resümee eines Vortrags von Luca Farulli den Blick auf die Herstellung und Aufnahme von „inneren Bildern“ und schlägt damit eine Brücke zu den Gestaltungs- und Rezeptionsvorgängen im Objekttheater.

Anke Meyer und Katja Spiess

(1) Jan Gerchow in „Ebenbilder –Kopien von Körpern – Modelle des Menschen“, Ausstellungskatalog
Ruhrlandmuseum Essen 2002.

Inhalt

Abbild und Zeichen
Die Theaterpuppe

  • Erlebnis des Findens
    Die Puppen als Entdeckungsmedium
    von Enno Podehl
  • w.w.w.: Weinhold, Werdin, Wächter
    Puppengestaltung und Menschenbilder
    von Bogdana Lorenz und Konstanza Kavrakova-Lorenz
  • Die Stimmen entstehen, während ich die Puppen baue
    Neville Tranter im Gespräch mit Eliane Attinger
  • „Marionnettes d’Artistes“
    Gedanken zu einer Ausstellung in Cherleville-Mézières
    von Laurent Contamin
  • Die Puppe als heiliges Objekt
    Über die Zusammenarbeit mit Enrico Baj
    von Massimo Schuster

Tagung

  • Spiel mit den Eindrücken
    Luca Farulli über Phantasie und Wahrnehmung
    von Gerd Taube

Festivals

  • Spannungsvolle Gegensätze
    FIGURA Theaterfestival 2004 in Baden (Schweiz)
    von Eveline Gfeller
  • Mutig und rigoros
    Internationales Forum VERSUCHUNG in Berlin
    von Barbara Fuchs
  • Konzeptionelle Doppelung
    Internationales Puppenfestival LUTKE in Ljubljana
    von Anke Meyer
  • PUCK 2004
    Festwoche am Puppentheater der Stadt Halle
    von Katja Spiess
  • Von der Holzoper auf die Kulturinsel
    50 Jahre Puppentheater Halle
    von Gerd Taube

Inszenierungen

  • Wohl dem, der seinem Yeti begegnet
    Eine neue Inszenierung von Gyula Molnar und Francesca Bettini
    von Helmut Pogerth
  • 25 Jahre Waidspeicher – Puppentheater Erfurt
    Premieren am Jubiläumswochenende: „Werther“ und die „Zweite Prinzessin“
    von Henryk Goldberg und Jörg Lehmann
  • Alptraum mit Bleistift
    Figurentheater PARADOX, Stuttgart: „Die Besessenen“
    von Cord Beintmann
  • „Aber ich // gebe nichts zu“
    „Wahnsinnsfrau Anne Sexton“ am Puppentheater der Stadt Magdeburg
    von Anke Meyer
  • Sindbad im Bootshaus
    von Silvia Brendenal

Bühne

  • Auf der Insel
    Silvia Brendenal im Gespräch mit Karl Huck
    von Silvia Brendenal und Karl Huck

Buchbesprechung

  • Voss, Robert: Ezzas Laden.
    Edition Materialtheater Stuttgart. Halle an der Saale/Brüssel 2004. Bilderbuch mit farbigen Illustrationen. ISBN 3-00-013539-1
    von Nicole Mieding

Notizen

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