double #08

Das Nomadische im Theater

Heft 2/2006

Bühne: Kleine Bühne Naumburg
Symposium: Krakau und München


Editorial

Das Nachdenken über eine bestimmte Form der Bewegung bildete den Ausgangspunkt der Themenstellung für dieses Heft: Was bedeutet die nomadische Bewegung in einer Welt, die das Unterwegssein »des flexiblen Menschen« zum Prinzip des Überlebens stilisiert hat? Ist der Nomade dessen Pate oder vielmehr sein Gegenbild? Zunächst eignen dieser Form der Bewegung besondere Qualitäten: Sie ist kontinuierlich und sie kommt an kein Ende, sie hat kein Ziel. Sie durchquert den Raum und besetzt ihn nicht. Insofern unterscheidet sie sich von jenem Unterwegssein im Namen eines globalen Kapitalstroms, der die Bewegung der Kolonialisation beerbt hat und in dem das Reisen nur das Hinter-sich-Lassen von Distanzen bedeutet. Die Bewegung des Nomaden wäre demgegenüber vielmehr als das Passieren von Orten zu begreifen, sie erfüllt sich nicht im Ankommen an einem Ort. »Passieren« lässt sich dabei in doppeltem Sinn verstehen:

Der Ort, den der Nomade erreicht, ereignet sich erst im Augenblick der Passage. Er ist ein unspektakulärer Ort, vielleicht ein Gegen-Ort im Sinne des von Michel Foucault vorgeschlagenen Begriffs der »Heterotopien«: »Orte, die sich allen anderen widersetzen und sie in gewisser Weise sogar auslöschen, ersetzen, neutralisieren oder reinigen sollen.« Es sind »mythische und reale Negationen des Raumes«, vielfältige und wechselnde Orte. Man könnte sie als konkrete Denkräume begreifen, die mit den Ritualen einer Gesellschaft zu tun haben: Sie aufzusuchen, bedarf es einer besonderen Form der (Denk-)Bewegung, wie sie etwa in der Praxis des schamanischen Reisens kultiviert wird. Die Autoren des Thementeils, alles selbst Künstler, sind der Frage nachgegangen, was die Form der nomadischen Bewegung mit dem Puppen-, Figuren- und Objekttheater zu tun haben könnte: Was hat es auf sich mit dem Prinzip des raschen Auf- und Abbaus? Wie sind die Spielräume zu begreifen? Lässt sich die metaphorische Verschiebung des Objektes als nomadische Bewegung beschreiben? Die Beiträge verstehen sich dabei in keiner Weise als auch nur annähernd erschöpfende Erfassung des Themas, sondern eher als fragmentarische Sammlung. Das Ziel ist nicht die »Setzung« einer Ästhetik sondern das Auskundschaften eines Raumes, den sämtliche Autoren aus der Praxis des eigenen Spiels kennen. So erkunden Christoph Bochdansky und Florian Feisel die Prinzipien ihre Arbeit unter dem Aspekt des karthographischen Blicks während Julika Mayer den Gedanken des heimatlichen Orte verfolgt und mit der Philosophie Vilém Flussers verbindet Gianluca Di Matteo und Tatiana Mazzali wiederum geben einen biographisch gefärbten Eindruck vom Straßenleben des neapolitanischen Pulcinella in Turin. Und schließlich entwirft Christian Carrignon eine Skizze zu einer Ästhetik des Objekttheaters als Theater der mentalen Nomaden. Damit ist das Thema keineswegs abgeschlossen: Es wandert fort und Peter Ketturkat wird es in der nächsten Ausgabe von double noch einmal aufgreifen.

Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer

Inhalt

Das Nomadische im Theater

  • Re: Gibt es eine dramaturgische Form des Grasens?
    Eine E-Mail-Korrespondenz
    Christoph Bochdansky und Florian Feisel
  • heimat und losigkeit.
    nomadengedanken im baustellencharakter
    Julika Mayer
  • Die Straße der Puppenspieler
    Ein Pulcinella-Report
    Gianluca Di Matteo und Tatiana Mazali
  • Mentale Wanderungen
    Nachdenken über das Nomadische im Objekttheater
    von Christian Carrignon
    Christian Carrignon

Diskussion

  • Vom Wert des Fremden
    Interkulturelles Künstlerfrühstück im Rahmen der Internationalen Festwoche des FITZ!
    Christian Bollow

Inszenierungen

  • Glänzende Welt?
    »SpiegelSpiel« von Wiebke Holm
    Lea Streisand
  • Verhüllung und Entäußerung
    »letters from tentland« im Tanzhaus NRW; »I Apologize« beim Festival »off limits«
    Anke Meyer
  • Davon kann man sich (k)ein Bild machen!
    »The Camp« der Company HOTEL MODERN
    Stefan Bläske
  • Die Geburt der Vernunft aus dem Rotz der Götter
    »ODIN« von Figurentheater Paradox Stuttgart und TheaterFusion Berlin
    Jutta Schubert
  • Lebensentwurf oder Mythos
    „Meine Schwester Marilyn – Auf der Suche nach Norma Jeane“, eine Koproduktion des wonderfool theaters mit FITZ! Zentrum für Figurentheater Stuttgart und Puppentheater der Stadt Magdebur
    Silke Haueiß
  • Großes Affentheater
    »King Kong – Ein amerikanischer Traum« der Seebühne Hiddensee
    Holger Teschke

Festival

  • Erste Begegnungen
    Europäische Biennale in Val d’Oise zur Theaterkunst für die frühe Kindzeit
    Gert Engel
  • Des Meeres Kraft
    Figurentheaterinszenierungen auf dem Kindertheaterfestival »Panoptikum« in Nürnberg
    Manfred Jahnke

Bühne

  • »…ein Teil des Teils, der anfangs alles war…«
    Theateralltag an der Kleinen Bühne Naumburg
    Silvia Brendenal

Symposium

  • Ist Kantor da?
    Bericht über ein Krakauer Symposium und eine Münchner Veranstaltung anlässlich des 15. Todestages und 90. Geburtstages von Tadeusz Kantor
    Mascha Erbelding

Buchbesprechung

  • „Autobiographische und biographische Zeugnisse sächsischer Marionettenspiele“
    Gerd Taube

Notizen

Impressum

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