double #48

Gegen der Lauf der Dinge.
Utopische Weltentwürfe im Figurentheater

Heft 2/2023

Gespräch: Vom Suchen und Finden der Utopie mit dem Queer Club des TDJW Leipzig
Diskurs: Schreibpraktiken des Figurentheaters in Westeuropa


Wohin man schaut: Krise! Hungersnöte, Kriege, Desinformation, Klimakatastrophen. So manche*r empfindet die aktuelle Epoche als einen heftigen Orkan, bei dem kein Stein mehr sicher auf dem anderen steht. Woran kann man sich da noch halten? Wie soll es so weitergehen?

Institute entwerfen Zukunftsszenarien, in denen sie Parameter zur Berechnung möglicher Zukünfte anwenden und versuchen, damit Richtungen zu denken, die Realität werden könnten. Es gibt angenommene Situationen, in denen sich gesellschaftliche Strukturen und ihr Umgang mit Ressourcen ins Positive verändern und Worst-Case-Szenarios, die ein eher dystopisches Weltbild zeigen. Wohin wird die Reise gehen?

Noch kann man es nicht wissen. Doch zwischen all den aktuellen Krisen und Konflikten blitzt ein Hoffnungsschimmer durch den Theatervorhang. Das Theater schafft Räume, um über Realitäten und ihre Alternativen nachzudenken. Hier treffen Utopien auf Dystopien, es geht um die Sehnsucht nach dem Alten und das Streben nach etwas Neuem. Es wird geforscht, getüftelt, gebaut und verworfen. Wie schafft man es auf der Bühne, Utopien im Jetzt zu (er-)gründen und schon heute eine mögliche utopische Zukunft zu erschaffen?

Diese Ausgabe beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, Utopien im Figurentheater zu denken, zu erleben und zu leben. Meike Wagner wird von einer Postkarte in die utopische Abschweifung geschickt, während Antoine Hirel die Körperentwürfe der Puppe ‚Hen‘ als queere Utopie beschreibt. Rafi Martin beschäftigt sich dafür mit Magnetismus und Schwerkraft, die ungeplant zu Resonanzen führen. Für Christoph Bochdansky ist die Utopie steter Begleiter seiner Arbeit, die ihn auf der Suche nach Inhalten lenkt und beflügelt. Inmitten einer krisenhaften Zeit möchte Nicole Beutler über die Angst hinaus die Zukunft üben, während Johanna Schallermayer mit dem Konzept der ‚hauntology‘ die Geister der Vergangenheit in das Zukunftsdenken hineinträgt. Drei Figurentheater-Studierende – Lara Epp, Viktoria Kasprik, Eva Maria Hasler – der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart antworten auf die Frage nach der Utopie mit Kurzmeldungen vom ‚anderen Ort‘. Tröstliche Utopien findet Anke Meyer in den Stücken von Philippe Quesne. Manuela Mohr beschreibt, wie die Puppe im Weltraum nach einer utopischen Identität strebt. Dass die Suche nach Utopie schon das Ziel sein kann, verdeutlicht Anna-Maria Polke in ihrem Interview mit dem Queer Club des Theater der Jungen Welt Leipzig.

Im zweiten Teil des Hefts geben unsere Autor*innen Einblicke in das diesjährige Figurentheaterfestival im Großraum Erlangen und machen sich Gedanken zur Animation, Wandlungsfähigkeit und künstlerischen Forschung anlässlich der Jubiläen in Stuttgart, Leipzig und Berlin. Sie schildern Eindrücke von der Figurentheaterkonferenz in Northeim und berichten von vielfältigen Herangehensweisen an das Entwerfen von Stücktexten im Figurentheater, die auf der „PuppetPlays“-Tagung in Montpellier vorgestellt und diskutiert wurden. Zudem blicken wir auf die interdisziplinäre Kooperation „(K)ein Puppenheim“ im Münchner Stadtmuseum, in der u. a. die eigene Ausstellungspraxis kritisch hinterfragt wird.

Auch das Thema des Hefts wird noch einmal aufgegriffen: Christofer Schmidts Besprechung der Inszenierung „Mata Dora“ vom El Cuco Projekt zeugt vom Wunsch nach einer Welt ohne Ausbeutung, Annika Gloystein berichtet vom wohltuenden Blick auf die Natur „Im Garten der Potiniers“ und im Schweizer Fenster untersucht Franziska Burger alternative Weltentwürfe en miniature in Produktionen von Dubs/Schnakenberg und Cia Frau Trapp. Außerdem im Portrait dieser Rubrik: die Schweizer Theatermacherin und diesjährige Preisträgerin des PRIX ASSITEJ, Priska Praxmarer.

Eine anregende Lektüre wünschen Meike Wagner, Anna-Maria Polke und Christina Röfer

Theatre creates spaces for us to think more deeply about realities and their alternatives. This is where utopia and dystopia meet; it’s all about yearning for the old and striving for something new. We research, tinker, build and discard. How do theatre people manage to establish utopias in the here and now and create a potential utopian future today? This edition deals with the possibilities of thinking about, experiencing and living out utopias in figure theatre.

Thema

Gegen den Lauf der Dinge
Utopische Weltentwürfe im Figurentheater

  • Meike Wagner
    Eine Postkarte in die Utopie
  • Antoine Hirel
    Hen
    Queeres Puppen-Kabarett als utopische Perspektive für sexuelle Körperidentitäten
  • Rafi Martin
    Das Unsichtbare, das uns verbindet – Schwerkraft und Magnetismus
  • Christoph Bochdansky
    Immer voran!
  • Nicole Beutler
    Warum Theater,
    warum Kunst in diesen Zeiten, in denen wir alle guten Grund haben, wegen der Klimakrise in Panik zu verfallen und zu rebellieren, in der Hoffnung, so die notwendige Transformation zu beschleunigen?
  • Johanna Schallermayer
    „Die Geister, die ich rief …“
  • Anke Meyer
    Melancholischer Trost
    Die Utopien von Philippe Quesne und Vivarium Studio
  • Lara Epp, Viktoria Kasprik, Eva Maria Hasler
    Sendungen von anderen Orten
  • Manuela Mohr
    Puppentheater und Weltraumreise
    Die Identitätsfrage in utopisch-dystopischen Science-Fiction-Stücken
  • Junge Hoffnung
    Vom Suchen und Finden der Utopie

Festival

  • André Studt
    (Un)Freiwilliges Tempolimit
    Eindrücke vom 23. Internationalen Figurentheaterfestival in Erlangen

Jubiläum

  • Celine Klotz
    Die Kunst lebendig zu machen
    Gedanken zur Animation anlässlich der Jubiläen des Studiengangs Figurentheater und des FITZ in Stuttgart
  • Steffen Georgi
    Metabolismus als Kunstform
    Figur und Tanz im Leipziger Westflügel
  • Mareike Gaubitz und Christina Röfer
    Ein Haufen Fragen und mindestens so viele Antworten
    „Figure It Out“ – Showcase und Fachtagung anlässlich des 30. Jubiläums der Schaubude

Diskurs

  • René Reith
    Perspektivwechsel
    Zum Symposium der 7. Deutschen Figurentheaterkonferenz in Northeim
  • Frank Soehnle
    Schreibpraktiken des Figurentheaters in Westeuropa
    Die internationale Konferenz „Portrait du Marionnettiste en Auteur” in Montpellier

Ausstellung

  • Annika Gloystein
    Wo die Puppen (nicht) wohnen
    Zu Besuch in der Ausstellung „(K)ein Puppenheim” im Münchner Stadtmuseum

Inszenierung

  • Christofer Schmidt
    Der ewige Wettkampf
    Wenn Verlorenes die Gegenwart befragt: „Mata Dora” von El Cuco Projekt
  • Annika Gloystein
    Papierblumen im Schaumstoffgarten
    Zu Besuch „Im Garten der Potiniers” bei der Ruhrtriennale

Schweizer Fenster

  • Franziska Burger
    Weltentwürfe im Miniaturmodell
    Utopien und Dystopien in „Civitas Cunt“ von Dubs/Schnakenberg und „Five Lines“ von Cia. Frau Trapp
  • Moritz Schönbrodt
    „Ich möchte nichts wissen, ich möchte herausfinden“
    Priska Praxmarer im Portrait

English Summaries   

Notizen/Festivalkalender

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