double #29

Bitte lächeln!
Masken, Puppen und Figurentheater in der Fotografie

Heft 1/2014

Festivals: Charleville-Mézières, Berlin, Stuttgart …
Ausstellungen: Dessau, München


Editorial

Fotografie und Theater. In seinem vielzitierten Büchlein „Die helle Kammer“ sieht Roland Barthes einen engen Zusammenhang zwischen beiden in „einer eigentümlichen Vermittlung (vielleicht bin ich der einzige, der es so sieht): der des TODES.“ Das Theater habe sich aus dem Totenkult entwickelt, Schminke und Maske kennzeichnen den Körper „als einen zugleich lebenden und toten“. Entsprechend begreift Barthes die Fotografie als „eine Art urtümlichen Theaters, eine Art von ‚Lebendem Bild’: die bildliche Darstellung des reglosen, geschminkten Gesichtes, in der wir die Toten sehen.“

Folgt man dieser These, ergeben sich Fragen auch im Hinblick auf die Fotografie von Figurentheater. Hier stellt das Foto (wieder) still, was auf der Bühne durch Bewegung und Animation überhaupt erst zu scheinbarem Leben erweckt worden ist. Geht auf Fotografien also unweigerlich verloren, was einen Reiz des Puppen- und Objekttheaters ausmacht, der Wechsel der Wahrnehmung, die „double vision“, die verschwimmenden Grenzen zwischen Leben und Tod? Oder handelt es sich um ähnliche Mechanismen: Weil Betrachter sich stets bemühen, wie Barthes schreibt, „etwas Lebendiges zu sehen (und diese Verbissenheit, mit der man ‚Lebensnähe’ herzustellen versucht)“.

So finden sich in diesem Heft zahlreiche Gesichter, Masken und Porträts. Etwa die „Selbstporträts“ der britischen Künstlerin Gillian Wearing mit Masken ihrer „Alter Egos.“ Oder die Fotografien der Wachsfiguren von Madame Tussauds, mit denen der japanische Starfotograf Hiroshi Sugimoto die Grenzen zwischen Malerei und Fotografie verwischt. Oder Volker Gerlings Daumenkinos, die man als Betrachter quasi kinematografisch selbst zum Leben erweckt. Zur Fotografie von Figurentheater kommen die Macher selbst zu Wort: Künstler reflektieren, was für sie ein gelungenes Bild ihrer Inszenierung sein könnte, oder fragen sich, inwieweit man ihre Arbeiten als „bildende“ oder „darstellende“ Kunst begreifen – und fotografieren – müsste. Fotografen berichten von ihren Perspektiven (oder lassen Betrachter und ihre Bilder selbst sprechen) und für kurze „AugenBlicke“ verweilen die Gedanken auf ausgewählten Fotos von 1905 bis heute. So sind, oder werden, die Bilder zum Spiegel ihrer Zeit.

Der zweite Teil des Heftes lädt ein auf eine Reise durch ganz Deutschland: nach Köln, wo Moritz Sostmann seinen erfolgreichen Einstand am Schauspielhaus gegeben hat, nach Dessau, wo sich das Bauhaus seiner Bühnenexperimente vergewissert, nach München, wo im Asyl Stadtmuseum der Begriff „Decolonize“ ernst genommen wird und ins thüringische Steinach, wo ein Theatrum Mundi eine Gemeinde bewegt. Und es darf gejubelt werden: double feiert seinen zehnten Geburtstag und hat von Tobias Prüwer eine Materialsammlung geschenkt bekommen. Mit Blicken in die nationale und internationale Figurentheaterszene und über den Tellerrand hinaus, darauf, was Performance-Künstler mit Puppen oder Puppen mit Performance-Künstlern anstellen, stellt sich auch die Jubiläumsausgabe dem Anspruch, die aktuellen Entwicklungen und vielfältigen Spielarten des Genres kritisch zu begleiten.

Ganz am Ende dieser Ausgabe steht aus traurigem Anlass noch eine Fotobetrachtung, ein AugenBlick, der zu einem Nachruf geworden ist: Über das Bild huscht, wie ein Geist im Verschwinden, die im Dezember verstorbene Figurenspielerin Mo Bunte.

Inhalt

Thema

  • AugenBlick [1988]
    Kurt Dombrowsky und die Bewahrung eines kulturellen Erbes
    von Silvia Brendenal
  • Schau mir in die Augen-Püppchen!
    Von der unheimlichen Verbindung zwischen Puppe, Fotografie und Geschlecht
    von Birgit Käufer
  • Wiederbelebte Tote
    Henry VIII., seine sechs Frauen und Bunraku von Hiroshi Sugimoto
    von Rebecca Simpson
  • „Du siehst doch, dass sie lebendig sind!“
    Mit Daumenkinos auf Wanderschaft
    von Volker Gerling
  • Jonglage der Blickwinkel
    Zur Rolle der Fotografie im Figurentheater
    von Julika Mayer
  • AugenBlick [1905]
    Papa Schmids Hände
    von Meike Wagner
  • Le révélateur – Der Entwickler
    Ein Stück konzentrierten Lebens
    von Nicole Mossoux
  • Manipulierte Porträts
    Bilder erfinden, die wie ein Spiel sind
    von Christophe Loiseau
  • Lebendige Oberflächen/Wie der Sand zwischen den Fingern
    Zu zwei Arbeiten von Brigitte Pougeoise
    von Naly Gérard und Marie Odile
  • AugenBlick [2009]
    Figurentheaterfotografie und Öffentlichkeitsarbeit
    von Jesko Döring

Essay en Français

  • Pourquoi faire du théâtre pour les jeunes?
    von Catherine Poher

Jubeln!

  • Kasper und die Frage nach dem Ding
    double, Jubel, Heiterkeit: Eine Materialsammlung zum Glückwunsch
    von Tobias Prüwer

Inszenierung

  • Levitation und Leviathan
    „Licht Bitte!“ von Kaufmann & Co.
    von Dora Dorsch
  • Im Kampf gegen die Technik
    „Surrogates – Mein zweites Ich.“ Eine Video-Sound-Live-Performance
    von Katrin Gellrich
  • Der Fluch der Ahnen
    „Wir werden alle unsre Mütter“ am Puppentheater Halle
    von Franziska Reif
  • Schlachtengemälde mit Pferd
    „Gefährten“ im Berliner Theater des Westens
    von Tim Sandweg

Ausblick

  • Die besseren Menschen
    Betrachtungen zu Moritz Sostmanns Einstand als Hausregisseur am Schauspiel Köln
    von Michael Isenberg

Festival

  • Schlaflos in Charleville-Mézières
    Das Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes 2013
    von Annette Dabs
  • Umkämpfter Hort
    Jubiläumsfestival „Theater der Dinge” in der Schaubude Berlin
    von Anke Meyer, Katja Spiess, Marianne Fritz und Katja Hille
  • Herzdruckmassagen
    Cuqui Jerez und Geumhyung Jeong bei SPIELART 2013
    von Stefan Bläske
  • Aus dem Leben der Kinder
    Das Kinderprogramm der IMAGINALE 2014
    von Evelyn James

Ausstellung

  • „Decolonize” – die Tiefe der Bühne und des Kellers
    Das Internationale Figurentheaterfestival München und die Ausstellung „Asyl Stadtmuseum“
    von Sarah Israel
  • Projektmaschine
    „Mensch Raum Maschine. Bühnenexperimente am Bauhaus”
    von Almut Wedekind

Weitermachen

  • „Immaterielles Kulturerbe erhalten und wertschätzen“
    Fachsymposium der deutschen UNESCO-Kommission
    von Helmut Groschwitz
  • Zwischen den Zeiten und doch im Heute
    Ein Besuch beim Steinacher Theatrum Mundi
    von André Studt

Reflexionen

  • Zoetropische Zonen
    William Kentridges „Drawing Lessons“
    von Tim Sandweg

Nachruf

  • Ein Bild von Mo Bunte (1942–2013)
    von Anke Meyer

Notizen & Festivalkalender

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English

In his much quoted book “Camera Lucida” Roland Barthes sees a close relationship between photography and theatre in the “mediation of death”, in makeup, masks and the representation of a “living image” in which we can see death. This edition of double asks what it means when we photograph puppet theatre, the art form which literally “animates” by bringing dead material to life on the stage. Do the stimuli provided by puppets inevitably get lost in photos? Or are other exciting effects created by the meeting of the two media? The magazine collects contributions by and about photographers, artists and puppeteers from 1905 to the present day.